Oppenheimer

Kino: 20.07.2023 | Laufzeit: 180 Minuten | FSK: 12 Land: USA, GBR | Genre: Biopic, Kriegsfilm


Kritik

„Barbenheimer“ - Teil 1: Als Universal und Warner ankündigten, ihre großen Hoffnungsträger „Oppenheimer“ und „Barbie“ zeitgleich in die Kinos zu bringen, war ich mir sicher, dass einer der beiden noch einen Rückzieher machen würde. Denn eigentlich behindern sich zwei so heiß-erwartete Filme nur gegenseitig, selbst wenn in diesem Fall zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Doch gerade diese Unterschiede haben „Oppenheimer“ und „Barbie“ zum Meme gemacht, was einen beispiellosen Hype über Social-Media entfachte. „Barbenheimer“ war geboren! Und so mussten die Box-Office-Analysten ihre Prognosen immer weiter nach oben korrigieren. „Oppenheimer“ stieg von 40 Mio. auf über 75 Mio. Dollar am US-Startwochenende, „Barbie“ sogar von rund 80 Mio. auf 150 Mio. Dollar. Und jetzt sieht es so aus, als würden beide die Marke sogar toppen. Über dieses Phänomen wird sicherlich noch lange gesprochen werden. Doch was hat der neue Film von Christopher Nolan denn nun qualitativ zu bieten?

 

In Sachen Erwartungshaltung war ich im Vorfeld zwiegespalten. Zum einen bin ich der gefühlt einzige oder einfach weltgrößte „Tenet“-Fan, der die einzige 10/10 der 2020er-Jahre abstauben konnte und daher der bisher beste Film dieses Jahrzehnts für mich ist! Gleichzeitig erschien davor aber auch „Dunkirk“, der mich damals schwer enttäuschte und sich als schwächster Nolan-Film in mein Ranking einsortiert hat. Und da es sich bei „Oppenheimer“ ebenfalls um eine wahre Geschichte statt um einen meiner geliebten Nolan-Mindfucks handelt, war die Skepsis auch nach den überragenden Kritiken noch da. Aber zu meiner eigenen Beruhigung habe ich doch recht schnell festgestellt, dass „Oppenheimer“ eben kein zweites „Dunkirk“ ist.

Erzählt wird selbstverständlich die Geschichte des amerikanischen Physikers J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) der als Leiter des Manhattan Projects mit der Entwicklung der Atombombe betraut wird. Das dreistündige Biopic über die laut Nolan „wichtigste Person, die jemals gelebt hat“ fühlt sich dabei ganz anders an als seine bisherigen Filme. Natürlich erkennt man sofort die Handschrift des Regisseurs, wenn Dialoge wie Montagen wirken, der Soundtrack aus allen Rohren feuert und wenig bis gar keine computergenerierten Effekte verwendet werden. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass „Oppenheimer“ einigen Nolan-Fans vor den Kopf stößt, während ihm selbst der Schritt von den technischen Kategorien in die Hauptkategorien der Oscars gelingt. Denn abgesehen von einer Atombombenexplosion gibt es hier nicht eine einzige Actionszene zu sehen, während Nolan sein Publikum drei Stunden lang mit einem Dialogfeuerwerk malträtiert. Das gab es in der Filmografie des Briten in dieser Form noch nicht. 

Einige Kritiken sprachen davon, dass die ersten zwei Stunden von „Oppenheimer“ schwer zugänglich sind und die unzähligen Zeitsprünge das Publikum durchaus irritieren können. Entsprechend überrascht war ich, wie unkompliziert ich die Erzählstruktur in diesen zwei Stunden empfand. Letzten Endes wendet Nolan den gleichen Kniff an wie jedes zweite Biopic und erzählt Oppenheimers Geschichte zwar in einem sprunghaft-rasanten Tempo, aber ziemlich linear und lediglich von einigen Gerichtsverhandlungen, die Jahre später stattfanden, unterbrochen wird und immer wieder Bezug auf die Ereignisse nehmen. Entsprechend hatte ich anfangs auch keine Probleme, was den Zugang zum Film betrifft. Allerdings verstehe ich auch, warum die letzte Stunde von einigen Kritikern als „kontrovers“ bezeichnet wurde. Denn nach dem beeindruckenden Trinity-Test wandelt sich „Oppenheimer“ in einen waschechten Polit-Thriller, was ich durchaus irritierend fand. Gleichzeitig liefert Nolan ein strukturell extrem beeindruckendes Drehbuch ab, denn wie in dieser letzten Stunde die Fäden zusammenlaufen und kurze Ausschnitte aus den ersten beiden Stunden plötzlich wieder aufgenommen und zu einem großen Ganzen zusammengesetzt werden, ist verdammt stark. Allerdings wird hier auch mein fehlendes Hintergrundwissen sichtbar, da die Entwicklung einiger Charaktere (allen voran Rami Maleks Charakter) nicht auf Anhieb nachvollziehbar sind. 

„Oppenheimer“ ist also ein sehr anspruchsvoller Film, der von seinem Publikum die volle Konzentration abverlangt. Jedoch hätte Nolan die Geschichte gut und gerne auch etwas kürzer erzählen können und einige der unzähligen Nebencharaktere weglassen können. Immerhin sind diese absolut unglaublich besetzt. Es ist beinahe lächerlich, was für ein Star-Ensemble Christopher Nolan für diesen Film vereint und es vergehen keine fünf Minuten, bis nicht wieder ein neues bekanntes Gesicht über die Leinwand huscht. Selbst große Namen wie die beiden Oscar-Preisträger Gary Oldman und Rami Malek geben sich hier für nicht mehr als zwei Minuten lange Auftritte die Klinke in die Hand und auch aus deutscher Sicht gibt es mit Matthias Schweighöfer einen spannenden Gastauftritt zu bewundern. Etwas mehr im Fokus stehen Oppenheimers Love-Interests Florence Pugh und Emily Blunt, Matt Damon als General und natürlich Robert Downey Jr. als Lewis Strauss. Der „Iron Man“-Star wird aus dem Cast am höchsten gelobt, was ich zwar nicht ganz nachvollziehen kann, denn dafür nimmt Cillian Murphy die Leinwand mit seiner Präsenz zu sehr ein, aber er darf endlich mal wieder zeigen, was er als Darsteller eigentlich alles drauf hat. Und trotz des gigantischen Star-Ensembles ist „Oppenheimer“ am Ende eine One-Man-Show und zwar die von Cillian Murphy, der nun endlich auch mal eine Blockbuster-Hauptrolle bekleiden darf. Seine seriöse und zurückhaltende Figur ist dabei alles andere als ein Sympathieträger, da er mit vielen Aktionen und Aussagen auch immer wieder für Kopfschütteln sorgt. Später, wenn ihm die Tragweite seiner Erfindung bewusst wird, zeigt sich aber auch die Reue in seinen Augen, die von Cillian Murphy exzellent eingefangen wird. Alles andere als eine Oscarnominierung würde mich doch sehr überraschen.

Für ein Biopic hält sich Christopher Nolan derweil nicht zurück und sorgt mit einer hervorragenden Inszenierung für eine dauerhafte Anspannung. Das rasante Dialogfeuerwerk lässt dem Publikum (aber teilweise auch dem jeweiligen Moment) keine Luft zum Atmen, weswegen die 180 Minuten von einem ganz kurzen Hänger im Mittelteil mal abgesehen, erstaunlich schnell vorbei sind. Anders als man vielleicht vermuten könnte, hat der Wechsel zwischen den farbigen und den ersten mit IMAX-Kameras aufgenommenen Schwarz-Weiß-Bildern nichts mit den verschiedenen Zeitebenen zu tun, sondern mit der Subjektivität der Geschichte (die Farbszenen sind subjektiv, die Schwarz-Weiß-Szenen objektiv). Ist vielleicht ganz interessant, dass vor der Sichtung zu wissen. Und obwohl der Film fast ausschließlich aus Dialogen besteht, sorgt Nolan allein durch den Einsatz des atmosphärischen Soundtracks von Ludwig Göransson für zahlreiche Spannungsmomente. Im Fokus stehen dabei der real gedrehte Trinity-Test, der die Anspannung und die Lautstärke bis ans Maximum treibt, eine Sequenz, in der Oppenheimer für seine Erfindung gefeiert wird und die direkt aus einem Horrorfilm stammen könnte sowie die treffenden Schlussworte, die ich so schnell nicht vergessen werde. Das die Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki nicht gezeigt werden, sondern wir das schreckliche Ereignis nur an Oppenheimer selbst ablesen können, passt meiner Meinung nach ebenfalls sehr gut zum Rest des Films. Vielleicht kann nicht jede der 180 Minuten einen solchen Eindruck schinden, aber Christopher Nolan zieht seine Handschrift von Anfang bis Ende durch, wie es aktuell nur wenige Regisseure können. 

 

Fazit

„Oppenheimer“ ist ein typischer Film von Christopher Nolan und zugleich so anders als seine bisherigen Werke. Einigen Nolan-Fans wird der Film daher sicherlich vor den Kopf stoßen, da er mit Ausnahme des real-gedrehten Atombombentests keine Actionszenen besitzt und stattdessen ein dreistündiges Dialogfeuerwerk vom Zaun bricht. Und das verlangt aufgrund der verschachtelten Erzählstruktur die volle Konzentration des Publikums ab. Zwar hat mich der Wandel zum Politthriller im letzten Drittel etwas irritiert und vielleicht hätte Nolan die Geschichte etwas kürzer und mit weniger Nebencharakteren erzählen können, gleichzeitig war ich von diesem rauschhaften Biopic aber auch schwer beeindruckt. Denn wie Nolan in der letzten Stunde die Fäden zusammenlaufen lässt und kurze Ausschnitte aus den ersten beiden Stunden plötzlich wieder aufgenommen und zu einem großen Ganzen zusammengesetzt werden, ist großes Kino. Gleichzeitig sorgt er mit seiner immer wieder überwältigenden Inszenierung und dem atmosphärischen Soundtrack von Ludwig Göransson für zahlreiche Spannungsmomente. Und er kann sich auf einen großartigen Cillian Murphy in der Hauptrolle verlassen, der das unglaubliche Star-Ensemble, in dem sich Oscar-Preisträger wie Gary Oldman und Rami Malek teils für zweiminütige Auftritte die Klinke in die Hand drücken, mit einer vielschichtigen Performance anführt. „Oppenheimer“ gehört vielleicht nicht zu den besten Filmen von Christopher Nolan, ist aber ein ebenso anspruchsvolles wie eindrucksvolles Biopic geworden, dass genau zur richtigen Zeit erscheint. 

 

8/10


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Poster&Trailer: © Universal Pictures