Kino: 12.06.2024 | Laufzeit: 97 Minuten | FSK: 0 | Land: USA | Genre: Animation, Komödie | Originaltitel: Inside Out 2
Kritik
In der komplett überarbeiteten Top 50 meiner Lieblingsfilme, die ich irgendwann im Herbst veröffentlichen werde, steht „Alles steht Kopf“ als bester Animationsfilm aller Zeiten neuerdings sogar auf Platz 9! Da stand es natürlich außer Frage, dass ich mir die Fortsetzung gleich am ersten Tag anschauen würde. Einige Sorgenfalten haben sich bei mir dennoch breit gemacht, denn die Pixar-Krise der letzten Jahre betraf schließlich nicht nur die enttäuschenden Einspielergebnisse. Bei Filmen wie „Rot“ und „Lightyear“ hat das von mir so geliebte Animationsstudio nämlich ganz schön daneben gegriffen und auch die ganz guten Filme um „Luca“ und „Elemental“ konnten nicht an alte Glanzzeiten anknüpfen. Es ist also an der Zeit für das gebeutelte Studio, dass zuletzt auch viele Mitarbeiter entlassen musste, endlich wieder einen großen Hit zu landen. Und genau das scheint „Alles steht Kopf 2“ auch zu werden, zumindest wenn man den ersten Prognosen Glauben schenkt. Aber auch qualitativ ist die Fortsetzung des oscarprämierten Animationsfilms aus dem Jahr 2015 der beste Pixar-Film seit „Soul“. An den fantastischen Vorgänger reicht „Alles steht Kopf 2“ trotzdem nicht heran...
„Hey Leute, was ist Pubertät?“, „Keine Ahnung, ist wahrscheinlich nicht so wichtig“. Schon am Ende des ersten Teils wurde mit dem roten Pubertätsknopf auf dem Steuerpult eine mögliche Fortsetzung angedeutet und dennoch hat es neun Jahre bis zu „Alles steht Kopf 2“ gedauert. Und da stellt sich heraus, dass dieser rote Knopf eben doch nicht so unwichtig ist, wie Freude damals vermutete. Denn einmal aktiviert stürzt nicht nur eine Abrisscrew das Hauptquartier ins Chaos, sondern auch vier neue Emotionen, die in Rileys Kopf dringen: Zweifel, Neid, Peinlich und Ennui, was so viel wie Langeweile oder kein Bock bedeutet. Und die stellen Rileys Leben während eines dreitägigen Eishockey-Camps ganz schön auf den Kopf.
Im Vergleich zum ersten Teil stehen nicht länger Rileys Eltern, sondern ihre Freunde im Fokus, bei denen sie sich zwischen ihren albernen besten Freundinnen und den coolen Camp-Mitgliedern entscheiden muss. Den beiden Drehbuchautoren Meg LeFauve und Dave Holstein gelingt es dabei hervorragend, in das Seelenleben des 13-jährigen Mädchens zu blicken. Die Teenager mit all ihren Sorgen, Ängsten und Befindlichkeiten sind exzellent beobachtet und „Alles steht Kopf 2“ bringt das Gefühlschaos der Pubertät wunderbar auf den Punkt. Wobei sich dieses Chaos auch in Rileys Kopf überträgt, im Guten wie im Schlechten. Zum einen funktionieren die vier neuen Emotionen richtig gut, wobei Zweifel als Anführerin der Gruppe den stärksten Eindruck hinterlässt. Als vermeintliche Antagonistin des Films will auch sie nur das Beste für Riley, die ständigen Selbstzweifel hinterlassen jedoch deutliche Spuren bei dem Mädchen. Die neuen Emotionen fügen sich ungemein clever und nachvollziehbar in die Geschichte und die einzelnen Situationen in Rileys Trip ein, allerdings sorgen die insgesamt neun Emotionen auch für einen etwas überfrachteten Eindruck. Und genau da fangen die Probleme von „Alles steht Kopf 2“ an: Gerade in der ersten Hälfte wird wahnsinnig viel Exposition betrieben, wenn Rileys Geschichte vorgestellt wird, die neuen Emotionen eingeführt werden und die Ausstattung in Rileys Kopf einige Upgrades erhält. Trotz unzähliger, meist gelungener Gags wirkt es daher erst mal so, als müsse „Alles steht Kopf 2“ eine Checkliste abarbeiten, um das Publikum auf den neuesten Stand zu bringen ehe der eigentliche Film losgeht. Innerhalb der Exposition werden zudem einige Dinge eingeführt wodurch ich schon in der ersten halben Stunde vorhersagen konnte, wo die Reise hingeht. Und exakt so kam es am Ende auch. Das mag ein Problem von vielen Animationsfilmen sein die man als Erwachsener schaut, gerade hier ist mir die große Vorhersehbarkeit des Films aber negativ ins Auge gesprungen. Das bin ich vom sonst so kreativen Animationsstudio anders gewöhnt.
Neben dieser etwas chaotischen Exposition habe ich aber noch zwei weitere Kritikpunkte an der Fortsetzung. Zum einen bestätigt die weiterführende Geschichte meine Befürchtungen aus dem Trailer, dass „Alles steht Kopf 2“ vieles aus dem Vorgänger einfach wiederholt. Wir erinnern uns: Damals musste Freude gemeinsam mit Kummer einen Weg zurück in die Schaltzentrale finden. Nachdem die Neuzugänge die alten Emotionen unterdrückt haben muss Freude dieses Mal mit Wut, Angst und Ekel einen Weg zurück in die Schaltzentrale finden, damit Rileys Leben nicht vollständig aus den Fugen gerät. Das kennen wir leider schon viel zu gut. Und auch in Sachen Emotionalität kann „Alles steht Kopf 2“ dem Vorgänger nicht das Wasser reichen. Die denkwürdige Todesszene von Bing Bong aus dem ersten Teil fehlt bei dieser Reise komplett und das starke Ende treibt einem zwar die Tränen in die Augen, mit dem Ende des ersten Teils, wenn Rileys in den Armen ihrer Eltern liegt und die traurig/glückliche Erinnerung entsteht, kann das Finale aber nicht mithalten.
Das klingt jetzt nach harscher Kritik, allerdings muss man eben auch bedenken, dass „Alles steht Kopf“ für mich ein absolutes Meisterwerk ist und die Fußstapfen für die Fortsetzung entsprechend riesig sind. Insgesamt liefert Regiedebütant Kelsey Mann, der den Posten von Pixar-Legende Pete Docter übernommen hat, ein starkes und kurzweiliges Animationsvergnügen ab, das wieder wunderbare Ideen besitzt, vom Brainstorming bis hin zu nächtlichen Selbstzweifeln. In einer besonders amüsanten Szene setzt Pixar auch wieder auf 2D-Charaktere bei der auch mal ein Videospielcharakter vorbeischaut, was den typischen Animationslook aber auch auf kreative Art ergänzt. Selbstredend ist auch die Animationsqualität wieder auf höchstem Niveau und die deutschen Sprecher sind sehr gelungen. Gerade Zweifel-Sprecherin Derya Flechtner klingt als deutsche Stimme von Maya Hawke erstaunlich nah am Original. Der Soundtrack ist hingegen eher unauffällig und kann abseits des bekannten Themas des ersten Teils keine neuen Akzente setzen.
Fazit
Mit „Alles steht Kopf 2“ kehrt Pixar endlich wieder zu alter Stärke zurück. Das krisengebeutelte Animationsstudio liefert seinen besten Film seit „Soul“ ab, obwohl die Fortsetzung nicht mit dem meisterhaften ersten Teil mithalten kann. Für meinen Geschmack wirkt „Alles steht Kopf 2“ durch all die Exposition und die zahlreichen Charaktere etwas zu überladen. Dazu war mir der Film zu vorhersehbar, die Geschichte wiederholt zu sehr die Story des Vorgängers und im Vergleich zum ersten Teil ist der Film auch weniger emotional. Allerdings ist der erste Teil für mich auch der beste Animationsfilm aller Zeiten, die Fußstapfen in die Teil Zwei bei mir treten muss sind also riesig. Und dafür hinterlässt „Alles steht Kopf 2“ dann doch wieder einen starken Eindruck. Denn die Befindlichkeiten der inzwischen 13-jährigen Teenagerin Riley sind exzellent beobachtet und Regiedebütant Kelsey Mann bringt das Gefühlschaos der Pubertät wunderbar auf den Punkt. Und auch die vier neuen Emotionen, angeführt von der vermeintlichen Antagonistin des Films Zweifel, funktionieren in den einzelnen Situationen in Rileys Leben hervorragend und werden sehr clever in die Geschichte integriert. Obwohl der Film nicht so originell, emotional oder überraschend ist wie sein Vorgänger, besitzt „Alles steht Kopf 2“ genügend spannende Ideen, witzige Gags und berührende Momente um eine würdige Fortsetzung des oscarprämierten Originals zu sein.
8/10
Poster&Trailer: © Walt Disney