Joker

Kinostart: 10.10.2019 | Laufzeit: 121 Minuten | FSK: 16 Land: USA | Genre: Krimi, Drama | Originaltitel: Joker


Kritik

Eines steht fest, mit "Joker" erscheint der kontroverseste und meistdiskutierte Film des Jahres in den Kinos. Nach seiner Premiere beim Filmfestival in Venedig sprachen einige Kritiker von einem "gefährlichen Film", Warnungen für psychisch labile Menschen wurden ausgesprochen und in den USA ging die Angst nach einem Amoklauf um. Immerhin tötete dort 2012 ein als Joker maskierter Mann bei einer Kinovorstellung von "The Dark Knight Rises" zwölf Menschen. So sorgte "Joker" in den letzten Wochen für zahlreiche Kontroversen, die teils groteske Züge annahmen und Meldungen nach denen einige Kinozuschauer panisch den Saal verließen machten die Runde. Warner Bros wird sich derweil vergnügt die Hände gerieben haben, denn eine bessere Werbung kann es für einen solchen Film ja wohl nicht geben. Und siehe da: Nach 10 Tagen hat der Film, bei einem Budget von 55 Millionen Dollar, bereits über 500 Millionen Dollar eingespielt. Da können die Kritiker noch so zwiegespalten sein (59 bei Metacritic), nach dem Sensationssieg beim Filmfestival in Venedig, begeistert der Film nun auch sein Publikum. Mit einer 8,9 bei knapp 300.000 Bewertungen, steht "Joker" aktuell sogar auf Platz 11 der besten Filme aller Zeiten bei IMDb. Das mag vielleicht etwas hoch gegriffen sein, doch "Joker" ist eine einzigartige Comicverfilmung und eine Erfahrung, die man so schnell nicht mehr vergessen wird.

 

"Joker" spielt im Jahr 1981 in Gotham City und folgt dem Außenseiter und "Freak" Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der seinen Lebensunterhalt als Clown verdient und zuhause seine kranke Mutter Penny (Frances Conroy) pflegt. Das Geld reicht für die beiden hinten und vorne nicht und Arthur träumt von einer Karriere als Stand-Up-Comedian, bestenfalls verbunden mit einem Auftritt in seiner Lieblingsfernsehsendung von Entertainer Murray Franklin (Robert De Niro). Doch seine Realität sieht deutlich düsterer aus und der Film beginnt gleich damit, dass er auf offener Straße verprügelt wird. Regisseur Todd Philipps zögert also keine Sekunde und wirft sein Publikum sofort ins kalte Wasser. Diese Anfangsszene, verbunden mit dem unkontrollierten Lachen von Arthur, sorgt für einen regelrecht skurrilen Start und man braucht als Zuschauer erstmal einige Minuten um sich mit dem Film zu akklimatisieren. Danach entwickelt der Film jedoch einen wunderbaren Flow und die 121 Minuten vergehen fast wie im Flug.

In "Joker" wird seitens Joaquin Phoenix so viel gelacht und getanzt, dass der Film oftmals Gefahr läuft, es mit diesen beiden Dingen zu übertreiben. Es ist ein schmaler Grat und insgesamt hätten dem Film eine oder zwei Szenen weniger, in den unkontrolliert gelacht wird, vielleicht ganz gut getan. Das ist jedoch nur ein vergleichsweise unwichtiges Detail, dass die Qualität des Films in keinster Weise schmälert. Denn dem Publikum bleibt das Lachen schnell im Hals stecken. "Joker" ist in erster Linie eine Charakterstudie über einen psychisch kranken Mann, der dringend Hilfe benötigt, diese aber nicht erhält und zeigt darüber hinaus was passieren kann, wenn einem solchen Mann die Hilfe verwährt wird. Es sind die vielen großen und kleinen Erniedrigungen die den Alltag Arthurs bestimmen und ihn letzten Endes zu dem machen, der er im Verlauf der Handlung wird. Denn selbst die kleinste Anerkennung, wie das Lächeln einer jungen Frau im Aufzug (Zazie Beetz), können ihn in wahre Höhenflüge versetzen. Die Waffe in seiner Hand ist da nur ein weiteres Vehikel, dass ihm zunächst einmal Macht verleiht. Ein Gefühl dass er in seinem Leben bislang nicht gespürt haben dürfte und später für eine Anerkennung sorgt, die den Wahnsinn in ihm entfesselt. Zu einem Plädoyer für Gewalt macht das "Joker" jedoch nicht. Zwar lässt uns Todd Philipps mit Arthur mitfühlen, erlaubt es uns zeitgleich aber auch seine Gewalttaten zu verurteilen. Daraus entsteht eine wunderbare Ambivalenz die unserer Gesellschaft zudem den Spiegel vorhält. Philipps geht bei der Etablierung von Arthur als Verlierer in der Gesellschaft keineswegs subtil vor und arbeitet sich etwas an der "Checkliste für Psychopathen" ab, verfehlt die Wirkung dieser Thematik allerdings nicht. Das am Ende der Bösewicht triumphiert sorgt natürlich für ein unangenehmes Gefühl, dennoch ist "Joker" ein enorm wichtiger Film über psychische Erkrankungen, die in unserer Gesellschaft leider immer noch ein Tabuthema sind. Bezeichnend das ausgerechnet solche Filme über die Maßen kritisiert werden, die am Ende eben nicht mit einem "geheilten" Hauptcharakter enden. Die Kontroversen um "Joker" aber auch um "13 Reasons Why", zeigen, dass sich in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht nichts geändert hat, als Filme wie "Clockwork Orange" und "Taxi Driver" (an den "Joker" sehr stark erinnert) ebenso kontrovers aufgenommen wurden.

Doch zurück zum Film: "Joker" ist definitiv alles andere als ein Unterhaltungsfilm, sondern sorgt mit besagten Themen für eine äußerst niederschmetternde Atmosphäre. Es ist ein Film der zum diskutieren anregt und nicht nur der vielleicht wichtigste Film des Jahres ist (immerhin erscheint der Film nur wenige Tage nach dem Amoklauf in Halle und könnte somit auch hierzulande nicht aktueller sein), sondern ein beeindruckendes Kinoerlebnis. Es gibt nur wenige Kleinigkeiten die ich an dem Film zu kritisieren hätte. Eine davon ist sicherlich die Clownsbewegung. Dass Gotham ein Drecksloch ist, steht sicherlich außer Frage. Die Reaktionen auf die einzelne Gewalttat ist meiner Meinung nach jedoch überzogen. Hätte Arthur mehrere Gewaltverbrechen gegen die Obrigkeit begangen, dann wäre ein Muster zu erkennen gewesen und die Bewegung die sich aus diesen Morden herauskristallisiert, nachvollziehbar gewesen. So wirkt der Zuspruch für den Mord doch etwas arg überzogen. Auf der anderen Seite wurde im Vorfeld diskutiert inwiefern "Joker" tatsächlich eine Comicverfilmung ist, denn Arthur Fleck existiert in keinem der Comics und gerade bei Bruce Waynes Vorgeschichte, erlaubt sich der Film einige kreative Freiheiten. Der Auftritt des jungen Bruce Wayne wirkt dann auch etwas erzwungen, dafür ist der Subplot um Thomas Wayne und Penny Fleck überaus gelungen und überlässt glücklicherweise einige Fragen dem Urteil des Zuschauers. Dieser Interpretationsspielraum ist generell eine große Stärke des Films, da man noch weitere Fragen unbeantwortet lässt und die Grenzen zwischen Realität und Wahnvorstellung immer wieder verschwimmen. 

Letztendlich ist "Joker" jedoch der Film von Joaquin Phoenix. Nach Heath Ledgers legendärer Performance in "The Dark Knight", bewies Jared Letos unbeliebter Joker in "Suicide Squad", wie groß diese Fußstapfen tatsächlich sind. Doch mit dem Charakterdarsteller hat man die perfekte Wahl für die Figur getroffen und Phoenix muss sich nicht hinter Heath Ledger verstecken. Der Schauspieler hat für die Rolle nicht nur 15 Pfund abgenommen und verleiht mit seinem dürren Zustand der Figur eine physische Faszination, sondern spielt sich wortwörtlich die Seele aus dem Leib. Seine alles überragende Performance ist das Herzstück des Films und muss dem 44-jährigen seine vierte Oscar-Nominierung einbringen. Ob gegen die starke Konkurrenz in der Kategorie des besten Hauptdarstellers dann auch sein erster Goldjunge dabei heraus springt, wird sich zeigen, verdient wäre die Auszeichnung aber in jedem Fall. Neben Phoenix bleiben auch alle anderen Figuren im Hintergrund. Von der deutschen Schauspielerin Zazie Beetz, bis hin zur Leinwandlegende Robert De Niro. Sie alle spielen gut, werden von Phoenix jedoch gnadenlos an die Wand gespielt. 

Für Regisseur Todd Philipps ist der Film derweil ein großer Spagat. Philipps war bislang im Komödien-Fach zuhause und hat dort unter anderem die "Hangover"-Trilogie abgedreht. Mit dieser hat "Joker" freilich wenig gemein. Viele waren sich daher unsicher ob er der Aufgabe gewachsen ist, doch Philips macht einen hervorragenden Job und kreiert dank des großartigen Soundtracks gleich eine ganze Reihe von Gänsehaut-Szenen. Auf große Action muss man jedoch verzichten, was allerdings eine willkommene Abwechslung zu den oftmals überfrachteten Comic-Blockbustern darstellt. Die 55 Millionen Dollar, Peanuts im Vergleich zur Superhelden-Konkurrenz, sind jedenfalls bestens angelegt und der Film überzeugt sowohl visuell, als auch mit seinem fantastischen Sound.

Glücklicherweise folgt "Joker" dem Trend der R-Rated-Comicverfilmungen, die uns in den vergangenen Jahren bereits Highlights wie "Deadpool" und "Logan" beschert haben, die sich klar vom Marvel-Einheitsbrei abhoben. In Deutschland ist der Film entsprechend ab 16 Jahren freigegeben und das vollkommen zurecht. Es ist nicht nur der psychische Wahnsinn der auf der Leinwand entfesselt wird, sondern es gibt auch einige blutige Gewaltexzesse zu sehen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Ein Grund aus dem Kino zu fliehen bieten diese Szenen aber nicht. Es fließt nicht mehr Blut als bei vergleichbaren Filmen wie "Logan" und dementsprechend ist alles halb so wild. Da wurde im Vorfeld definitiv wieder aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Die Entscheidung dem Film die kreativen Freiheiten des R-Ratings zu geben, erweist sich jedenfalls als Glücksfall für "Joker", der als FSK 12-Film viel von seiner Wirkung eingebüßt hätte.

 

Fazit

"Joker" ist definitiv keine gewöhnliche Comicverfilmung, sondern eine spannende Charakterstudie, die unserer Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vorhält. Die Kontroversen rund um den Film sind jedoch viel zu überzogen und zeigen wie sehr psychische Erkrankungen noch immer ein Tabuthema in unserer Gesellschaft sind und wie wenig sich doch in den 40 Jahren nach den Kontroversen um "Taxi Driver" geändert hat. "Joker" ist ein filmisches Erlebnis, dass zwar nicht ganz frei von inhaltlichen Schwächen ist und trotzdem zu den besten und vor allem wichtigsten Filmen des Jahres gehört. Dazu machen ein alles überragender Joaquin Phoenix und ein starker Score, diesen Film zum Must-See, auch wenn einem schnell das Lachen im Halse stecken bleibt.

 

8/10


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Poster&Trailer: © Warner Bros.