Midsommar

Kinostart: 26.09.2019 | Laufzeit: 147 Minuten | FSK: 16 Land: USA, SWE | Genre: Horror, Drama | Originaltitel: Midsommar


Kritik

Was war das für ein Regiedebüt! Als im vergangenen Jahr Ari Asters erster Spielfilm "Hereditary - Das Vermächtnis" in die Kinos kam, konnte mich nichts auf diese zwei Stunden vorbereiten, nach denen ich das Kino als psychisches Wrack verlies. Doch der verstörende "Hereditary" hat nicht nur als Horrorfilm voll ins Schwarze getroffen, sondern war auch in Sachen Inszenierung einzigartig. Mit seinem ersten Film schuf Ari Aster ein modernes Horror-Meisterwerk, dass folglich die volle Punktzahl von mir bekam. Dennoch war der Film und insbesondere sein Ende, alles andere als unumstritten, trotzdem musste man den 33-jährigen von nun an auf der Rechnung haben. Und jetzt, nur etwas mehr als ein Jahr später, schlägt die Stunde von Aster erneut. Mit "Midsommar" kommt wieder ein höchst eigenwilliger Horrorfilm in die Kinos, der eindeutig die Handschrift des Regisseurs trägt und den Zuschauer über 147 Minuten hinweg, in seine Welt einsaugt. Obwohl "Midsommar" nicht an die Extraklasse von "Hereditary" heranreicht, ist Ari Aster wieder der stärkste Horrorfilm des Jahres gelungen, der klar macht, dass der Regisseur alles andere als ein One-Hit-Wonder ist.

 

So vertraut sich "Midsommar" als "Hereditary"-Fan auch anfühlt und so viele Parallelen sich zwischen den beiden Filmen auch erkennen lassen, in einer Sache sind die beiden Filme grundverschieden. Die Struktur der Erzählung ist eine völlig andere. "Hereditary" war in der ersten Hälfte ein reines Familiendrama und wurde erst in der zweiten Hälfte zum verstörenden Horrorfilm, ehe sich das obskure Ende fast wie ein anderer Film anfühlte. Einer der Gründe warum das Ende bei einigen Zuschauern gnadenlos durchfiel, auch wenn die Entwicklung über zahlreiche Hinweise schon früh erkennbar war. Bei "Midsommar" wird sich hingegen keiner am Ende stören, weil der ganze Film mehr aus einem Guss zu sein scheint. Große Genre-Wechsel gibt es nämlich nicht und der Film bleibt sich über die gesamte Laufzeit hinweg treu. Dennoch unterscheidet sich der Anfang des Films sehr vom Rest des Films. Denn ehe es zur abgelegenen Sekte nach Schweden geht, setzt die Story zunächst im vertrauten Heim der jungen Studentin Dani (Großartig: Florence Pugh) ein, die erst später von den Reiseplänen ihres Freundes Christian (Jack Reynor) und seinen Kumpels erfährt. Ehe die Fünfergruppe aufbricht, kommt es jedoch erst einmal zu einem dramatischen Ereignis, dass in Sachen Inszenierung sehr an "Hereditary" erinnert und wieder unglaublich gelungen ist. Aster gibt seinem Publikum bereits nach fünf Minuten ein Gefühl des Unbehagens mit auf den Weg und serviert eine der besten Anfangssequenzen des Kinojahres. Von diesem düsteren Einstieg geht es dann nach Schweden, wo Sonne, Helligkeit und weiße Kleider die Farbpalette des Films dominieren. Ein äußerst ungewöhnlicher Schritt für einen Horrofilm und tatsächlich hat "Midsommar" auch nur entfernt mit einem Horrorfilm zu tun. Wirklich verstörend wird es nämlich nicht und gruselig schon zweimal nicht. Wer sich also in Erwartung eines Horrorfilms in die Kinos begibt, wird enttäuscht werden. Vielmehr ist "Midsommar" ein Psycho-Drama/Thriller, mit einigen expliziten Szenen. Aufgeplatzte Köpfe und andere blutige Bilder sorgen für ein verdientes FSK 16-Rating, allzu blutig wird der Film aber nicht.

Ebenfalls ungewöhnlich für einen Horrorfilm ist die lange Laufzeit. 147 Minuten dauert "Midsommar" in seiner Kinofassung, zum Heimkino-Start ist sogar eine dreistündige Fassung angekündigt. Das ist eine Laufzeit die man erstmal mit Leben füllen muss. Doch Ari Aster gelingt dies exzellent, indem der Film einen regelrechten Sog entwickelt. "Midsommar" ist ein ruhiger und sehr langsam erzählter Film, bei dem jedoch nie Längen aufkommen, weil er seine Charaktere unaufhörlich über die grünen Wiesen Schwedens treibt. Stattdessen sorgt das niedrige Tempo, die ruhige Kamera und die verträumten Bilder für eine hypnotische Sogwirkung, der man sich als Zuschauer nicht entziehen kann. Vorausgesetzt man ist bereit in die Welt von Ari Aster einzutauchen, die sich dieses Mal zwar optisch sehr von "Hereditary" unterscheidet, ansonsten aber sehr an seinen direkten Vorgänger erinnert. Wieder streut Aster unzählige Symbole und Hinweise ein, mit denen aufmerksame Zuschauer schon früh erahnen können, in welche Richtung sich die Story entwickelt. Eine Zweitsichtung lohnt sich also definitiv. Es ist eine außergewöhnliche Bildersprache die Ari Aster beherrscht wie kaum ein Zweiter und nachdem sich auch "Hereditary" mit den Thematiken des Übernatürlichen und der Sekten beschäftigte, folgt nun auch "Midsommar" diesem Beispiel. Im Gegensatz zu Aster bin ich eigentlich kein Fan davon, doch der Regisseur bringt sogar mir die Themen nahe. Zumal dieses Übernatürliche auch nur einen Teil der Handlung ausmacht. In erster Linie beschäftigt sich der Film mit den zerstörerischen Auswirkungen einer Trennung und nutzt dafür zahlreiche Metaphern. Nur wer auf die Details achtet und bereit ist diese zu interpretieren, wird letztlich auch das Ende verstehen.

Die Handlung macht also erneut viel von der Faszination des Films aus, allerdings erreicht die Geschichte weder die emotionale Wucht von "Hereditary", noch laufen wirklich alle Fäden am Ende des Films zusammen. Aster will in manchen Momenten vielleicht etwas zu viel, vergisst dabei aber einige der Figuren, die plötzlich nicht mehr auftauchen oder keine Rolle mehr spielen. Insbesondere der dramatische Moment vom Anfang, gerät später vollkommen in Vergessenheit. Da wäre es interessant zu sehen ob der 30 Minuten längere Director's Cut diese Fehler ausbügelt oder nicht.

Dadurch muss sich "Midsommar" auch recht klar hinter dem Vorgänger einsortieren, da der Film letztlich lange nicht so unvergesslich ist wie noch "Hereditary". Dennoch können wir in Zukunft viel von Ari Aster erwarten, der ab sofort dem Horror-Genre den Rücken kehren will. In Sachen Inszenierung bleibt der 33-jährige nämlich einer der faszinierendsten Regisseure Hollywoods. Jede Szene wurde von Aster durchkomponiert und die exzellente Bildersprache, die wunderschönen Aufnahmen und ein wieder einmal außergewöhnlicher Soundtrack, werden nur noch von der herausragenden Kamera übertroffen. Diese fliegt fröhlich über Kopf und durch Wände hindurch und ist schlichtweg außergewöhnlich gut. 

 

Fazit

"Midsommar" erinnert in so vielen Momenten an Ari Asters Regiedebüt "Hereditary" und ist doch so anders. Der halluzinogene Trip nach Schweden thematisiert erneut eine Sekte und ihre obskuren Rituale, erzählt darüber hinaus von der Trennungsbewältigung und das alles in einer faszinierenden Bildersprache die voller Hinweise und Symbolik steckt. Wer einen Horrorfilm erwartet wird wahrscheinlich aber enttäuscht werden, denn "Midsommar" ist eher ein ruhiges Psycho-Drama, dass dabei einen starken hypnotischen Sog entwickelt. In Sachen Inszenierung macht Ari Aster derweil keiner so schnell etwas vor und man darf sehr gespannt sein, wie sich der junge Regisseur außerhalb des Horror-Genres schlägt. "Midsommar" reicht zwar nicht an das Horror-Meisterwerk "Hereditary" (10/10) heran, ist aber ein faszinierender und überaus gelungener Nachfolger.

 

8/10


Kommentare: 0

Poster&Trailer: © Weltkino Filmverleih