They Shall Not Grow Old

Kinostart: 27.06.2019 | Laufzeit: 99 Minuten | FSK: 16 Land: GBR, NZL | Genre: Doku, Historie, Krieg | Originaltitel: They Shall Not Grow Old


Kritik

Mehr als vier Jahre war es nun ruhig um "Der Herr der Ringe"-Regisseur Peter Jackson, dessen letzter Film, der Abschluss der Hobbit-Trilogie, dem erfolgsverwöhnten Neuseeländer ungewohnt viel Kritik einbrachte. Seitdem war es erstaunlich ruhig um ihn, sein einziges Projekt war die Fantasy-Romanverfilmung "Mortal Engines" aus dem letzten Jahr, bei dem Jackson die Inszenierung jedoch seinem Freund Christian Rivers überließ. Gemeinsam mit Philippa Boyens und Fran Walsh, produzierte er den Film lediglich und schrieb das Drehbuch. Jenes Drehbuch war auch die größte Schwäche des Blockbusters, der zudem an den Kinokassen gnadenlos unterging. Ist die Zeit des dreifachen Oscarpreisträgers und Regisseurs des besten Films aller Zeiten vielleicht einfach vorüber? Mitnichten. Mit der einzigartigen Dokumentation "They Shall Not Grow Old" meldet sich der Neuseeländer eindrucksvoll zurück. 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges, zeigt Jackson die Ereignisse erstmals in Farbe und gelingt damit ein beeindruckend persönlicher Blick auf die Menschen in den Schützengräben.

 

Was "They Shall Not Grow Old" von anderen Weltkriegsdokumentationen abhebt, ist die technische Aufarbeitung der alten Filmaufnahmen. Die schwarz-weiß Aufnahmen im 4:3-Format, wurden von Weta-Digital, der renommiertesten Effektschmiede der Welt restauriert und digital nachkoloriert. Jackson zeigt den Weltkrieg somit erstmals im Bildschirmfüllenden 16:9-Format, in Farbe und in den entsprechenden Kinos dazu noch in 3D. Man darf sich sicherlich Fragen ob damit nicht die historische Authentizität des Bildmaterials verloren geht, das Endergebnis ist jedoch definitiv gelungen. Es ist ein wahrer Augenöffner wenn sich nach knapp 25 Minuten das Bild ausdehnt und die gelungene Farbwiedergabe für Bilder sorgt, die so noch nicht zu sehen waren. Dass das Bild dabei nicht gestochen scharf ist und einige Details in der Nachkolorierung nicht ganz so gelungen sind, fällt dabei kaum ins Gewicht. Über die Qualität des 3D-Bildes kann ich derweil nichts sagen, da ich den Film lediglich in 2D gesehen habe. Beeindruckend ist auch der Sound, der für die enorme Intensität der Doku sorgt und fast mehr ins Gewicht fällt als die farbenfrohen Bilder. Nicht nur wird das Material mit wuchtigen Explosionen und Gewehrsalven unterlegt, mit Hilfe von Lippenlesern hat man auch die Dialoge der Soldaten synchronisiert, was die Erfahrung noch greifbarer macht. Peter Jackson verzichtet darüber hinaus auf einen klassischen Erzähler, sondern lässt über 130 Soldaten zu Wort kommen. Die Zeitzeugenberichte, Bilder und Soundeffekte verschmelzen zu einem atemberaubenden Ganzen, dass die Dokumentation zu einem echten Erlebnis macht. Nie zuvor war man selbst so nah dran an der Front des ersten Weltkrieges. Dabei ist auch die dramaturgische Aufarbeitung gelungen, denn Aufnahmen von den direkten Kämpfen gibt es nicht, da Handkameras zu dieser Zeit noch nicht existierten. Entsprechend untermalt Jackson sein Kriegsgetümmel immer wieder mit Bildern und Zeichnungen von der Schlacht. Dank der bedrückenden Atmosphäre fühlt man sich dennoch wie mittendrin. In der eindrucksvollsten Szene zeigt Jackson erst ausgelassene Filmaufnahmen einzelner Soldaten und schneidet danach ein Bild wie der selbe Soldat tot auf dem Schlachtfeld liegt. Bei allem Lob über die technische Aufarbeitung, ist es jedoch etwas schade, dass die ersten 25 Minuten der Doku, die sich mit der Ausbildung der Soldaten in England beschäftigt, lediglich in den Originalaufnahmen gezeigt wird und erst mit der Ankunft in Frankreich auf das nachgearbeitete Bild wechselt. Eine Entscheidung die ich nicht wirklich nachvollziehen kann.

Fernab von allem audiovisuellen Spektakel, ist "They Shall Not Grow Old" eine zutiefst persönliche Dokumentation. Peter Jackson, dessen Großvater ebenfalls im ersten Weltkrieg kämpfte, fokussiert sich ausschließlich auf die menschliche Ebene hinter dem gnadenlosen Krieg. Er verzichtet auf die politischen Hintergründe und zeigt den Krieg aus der Sicht der meist blutjungen Soldaten, von denen viele erst zwischen 15 und 18 Jahre alt waren. Eine gute Entscheidung, da man so noch mehr in das Leben der Soldaten eintauchen kann. Die Doku stellt dabei nicht einen Soldaten in den Mittelpunkt, sondern setzt auf unterschiedliche Filmmaterialien und 130 Zeitzeugenberichte die allesamt hochinteressant sind. Etwas schade ist dabei, dass Jackson lediglich aus der Sicht der britischen Soldaten erzählt. Andere Nationen oder gar der Feind aus Deutschland kommen leider nicht zu Wort. Dennoch gelingt es Jackson kein eindimensionales Bild des Krieges zu zeichnen, denn die britischen Soldaten berichten mehrmals von ihren Begegnungen mit den deutschen Gegnern, die meist sehr freundlich ausfielen. 

 

Fazit

Nach dem schwachen Abschluss der Hobbit-Trilogie und dem miesen Drehbuch von "Mortal Engines" meldet Peter Jackson sich eindrucksvoll zurück. Seine zutiefst persönliche Dokumentation über die Soldaten des ersten Weltkriegs ist nicht nur in technischer Hinsicht gelungen, sondern vermittelt einen intensiven Eindruck von den Ereignissen an der Front. Die gelungenen Bilder, die wuchtige Soundkulisse und die hochinteressanten Zeitzeugenberichte sorgen für eine spannende Dokumentation, die über die gesamten 99 Minuten hinweg an die Leinwand fesselt. Schade nur, dass es 25 Minuten dauert bis man das digital restaurierte Bild zu Gesicht bekommt, weswegen letztlich weniger als eine Stunde bearbeitetes Material zu sehen ist. Davon abgesehen überzeugt "They Shall Not Grow Old" auf ganzer Linie und ist eine starke Dokumentation geworden, die man sich besser nicht entgehen lassen sollte.

 

8/10


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Poster&Trailer: © BBC