Staffelstart: 23.08.2019 | Anbieter: Netflix | Episoden: 13 | FSK: 16 | Land: USA | Genre: Drama, Mystery | Originaltitel: 13 Reasons Why
Kritik
"Tote Mädchen lügen nicht" ist eine der erfolgreichsten Serien der Netflix-Geschichte und definitiv die meist-diskutierte Serie der letzten Jahre. Der Serienhit schlug im Jahr 2017 große Wellen, als die fiktive Schülerin Hannah Baker dreizehn Gründe für ihren Selbstmord formulierte. Showrunner Brian Yorkey schreckte dabei vor keinem schwierigen Thema zurück und stieß spätestens mit der expliziten Suizidszene am Ende auf viel Empörung. Warnhinweise vor und nach jeder Episode waren die Folge, doch offenbar war das noch nicht genug: Im Vorfeld zur dritten Staffel zensierte Netflix die Suizidszene, zwei Jahre nach ihrem Erscheinen. Ein Schritt der mich persönlich sehr wütend gemacht hat, denn mit "Tote Mädchen lügen nicht" kam endlich eine Serie auf den Markt, die den Mut hatte sich mit den Tabuthemen unserer Zeit auseinanderzusetzen und dabei nichts zu beschönigen. Anstatt Empörung über die realen Zustände zu zeigen, war es wohl einfacher die Serie zu kritisieren, die endlich all jene Missstände aufzeigte. Mich hat die grandiose erste Staffel jedenfalls so mitgenommen wie keine andere Serienstaffel zuvor. Danach war die Geschichte zwar auserzählt, doch wie es nunmal so ist, muss so eine erfolgreiche Serie leider auch fortgesetzt werden. Staffel 2 war zwar merklich schwächer als der Vorgänger, hatte aber mit den offenen Fragen am Ende von Staffel 1 und der Gerichtsverhandlung zumindest noch ihre Daseinsberechtigung. Staffel 3 dreht sich nun um den mysteriösen Mord an Bryce Walker, kann dabei aber nicht verschleiern, dass man eigentlich kaum noch etwas zu erzählen hat.
Wir erinnern uns: Am Ende der zweiten Staffel bekamen eigentlich fast alle Charaktere ein Happy-End und die Serie hätte auf dieser Note ein zufriedenstellendes Ende gefunden. Stattdessen versuchte Tyler in den letzten Minuten der Staffel noch seinen Amoklauf durchzuziehen, der in letzter Sekunde von Clay und Co. verhindert werden konnte. Die Show muss eben weiter gehen. Mein Interesse vor Staffel 3 hielt sich dementsprechend stark in Grenzen, doch der Trailer machte mir wieder Lust auf die neue Staffel von "Tote Mädchen lügen nicht". Die Idee mit Bryce Walkers Tod und dem daraus resultierenden Rätsel wer den Vergewaltiger getötet haben könnte, bot durchaus eine interessante Ausgangskonstellation. Die Ernüchterung setzte jedoch schon in der ersten Episode ein, denn was die Marketingabteilung verschwiegen hatte, war der neue Hauptcharakter Ani, die gleichzeitig die Erzählung der Geschichte übernimmt. Neue Charaktere einzuführen ist bei Serien natürlich Gang und Gäbe, dennoch fühlt man sich als Zuschauer zunächst einmal vor den Kopf gestoßen. Ani bei den ganzen liebgewonnenen Charakteren direkt zur Erzählerin und damit unweigerlich zum neuen Hauptcharakter zu machen, war eine fatale Entscheidung. Sympathisch ist an Ani nämlich gar nichts. Die neue Mitschülerin wirkt sehr arrogant und kann über die gesamte Staffel hinweg nicht einen Sympathiepunkt für sich verbuchen. Problematisch ist vor allem ihre Beziehung zu Bryce. Praktischerweise für die Story, wohnt Ani nämlich zufällig im Gästehaus der Walkers. Dort bekommt sie nicht nur einige relevante Details für die Story mit, sondern geht auch noch eine Liebesbeziehung mit dem Vergewaltiger ein, trotz aller Warnungen von Clay. Die verärgerten Reaktionen vieler Zuschauer (Anis Charakter führte zu einem regelrechten Shitstorm) kann ich jedenfalls komplett nachvollziehen.
Ein weiteres großes Problem der Staffel ist Bryce Waker. Zwei Staffeln über hat man Bryce zum Hassobjekt aller Zuschauer gemacht und immer wieder gezeigt wie widerwärtig der arrogante Millionärssohn zu seinen Mitmenschen ist. In Staffel 3 versucht man nun hingegen Sympathien für Bryce zu erzeugen. Das Motiv zieht sich dabei durch die gesamte Staffel: Bryce zeigt Reue für seine abscheuliche Taten und führt inzwischen selbst ein ziemlich miserables Leben. Diese Mitleidsnummer zieht jedoch überhaupt nicht. Klar, Bryce hat es nicht gleich verdient zu sterben, ansonsten ist alles schlechte was ihm in seinem Leben widerfährt aber verdient. Bryce mag viele Probleme in seinem Leben gehabt haben, dass entschuldigt jedoch in keinster Weise seine Taten. Das Showrunner Brian Yorkey die Schwarz-Weiß-Zeichnung seiner Geschichte weiter aufbrechen will ist verständlich, was er in Staffel 2 auch schon mit Hannah gemacht hat, im Fall von Ekelpaket Bryce funktioniert das jedoch in keinster Weise. Vielmehr empfinde ich es sogar als bedenklich, wie man versucht für einen Triebtäter wie Bryce Sympathien und Mitleid zu erwecken.
Last but not least bleibt der dritte große Kritikpunkt an der dritten Staffel: Im Original heißt die Serie passenderweise "13 Reasons Why", doch dadurch entsteht inzwischen eine Pflicht auch tatsächlich dreizehn Episoden abzuliefern. Staffel 3 bietet jedoch keineswegs genug Material um dreizehn Episoden zu füllen. Ani erzählt, wie einst Hannah Baker, von den Verdächtigen und widmet jedem Charakter eine einzelne Episode, in der er im Vordergrund steht. Das wirkt jedoch stark erzwungen, da man den meisten Charakteren von vornherein keinen Mord zutrauen würde. Die Geschichte wirkt entsprechend arg in die Länge gezogen, gerade in der ersten Hälfte der Staffel. Weniger Episoden wären wie so oft bei Netflix mehr gewesen.
All diese Kritikpunkte führen zu einer wirklich schwachen ersten Hälfte der Staffel, doch so schlecht wie es vielleicht klingt, ist die dritte Staffel von "Tote Mädchen lügen nicht" dann auch wieder nicht. In der zweiten Hälfte bessert sich die Staffel merklich und hat mich dann sogar noch wirklich gehooked. Das liegt zum einen daran, dass man sich mit Anis Charakter und Bryce Mitleidschiene langsam abgefunden hat, zum anderen daran dass die Story merklich anzieht und die liebgewonnenen Charaktere wieder mehr in den Vordergrund rücken. Dabei haben mir vor allem viele Charakterentwicklungen gefallen, wie die von Tyler, Jessica oder Justin, die allesamt eine tolle Entwicklung durchmachen. Dazu kommt weiterhin die große Brisanz der Serie. "Tote Mädchen lügen nicht" ist weiter ganz nah dran am Puls der Zeit und beschäftigt sich erneut mit einigen schwierigen Themen unserer Gesellschaft. Gerade Jessicas Aktivismus (der höchstens ein bisschen dick aufgetragen ist) gegen die Athleten-Kultur in Amerika, die vom Schulsystem sogar noch beschützt werden und die Kritik am Justizsystem das Clay von vorneherein zum Täter macht, sind nur zwei der gelungenen Beispiele der dritten Staffel. Dazu kommt, dass man die bereits bekannten Charaktere sehr ins Herz geschlossen hat und mit ihnen mitfiebert, was der Spannung der dritten Staffel nicht gerade schadet. Entsprechend kommt die Serie mit der Zeit immer mehr in Fahrt und macht dabei zwar nicht alles richtig, unterhält dennoch auf einem guten Niveau. Lediglich die Auflösung des Rätsels um Bryce Walkers Tod fällt etwas verwunderlich aus und natürlich muss auch am Ende dieser Staffel, die vierte und dann immerhin letzte Staffel angedeutet werden.
Die Leistung der Darsteller ist weiterhin überzeugend, jedoch kann sich in Staffel 3 keiner wirklich in den Vordergrund spielen. Allerdings machen gerade Alisha Boe, Brandon Flynn und Devin Druid eine gute Figur, während Dylan Minette lediglich dreizehn Episoden lang finster dreinblickt. Von den wenigen Neuzugängen der Staffel muss natürlich vor allem Ani erwähnt werden, deren Darstellerin Grace Saif es wie bereits erwähnt nicht gelingt, sich in die Herzen der Zuschauer zu spielen. Im Gegenteil. Auffälliger ist da schon die Inszenierung der Staffel. Da die Erzählung wieder munter zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt, war es eine gute Entscheidung die Gegenwartsszenen im 21:9-Format zu drehen und die Vergangenheitsszenen im 16:9-Format. Ein Kniff den auch viele andere Serien benutzen und der zur Orientierung beiträgt. Etwas verwirrend ist jedoch Farbgestaltung der unterschiedlichen Formate. Während die Vergangenheitszenen alle sehr kontrastreich und hell gestaltet sind, wirken die Gegenwartsszenen so entsättigt, dass sich fast der Eindruck eines Schwarz-Weiß-Bildes aufdrängt. Eine einheitlichere Gestaltung wäre mir hier lieber gewesen. Immerhin sind die fließenden Übergänge immer wieder sehenswert.
Fazit
"Tote Mädchen lügen nicht" befindet sich weiter auf dem absteigenden Ast. Nach der mitreißenden ersten Staffel (9/10) und der immer noch starken zweiten Staffel (8/10), ist die dritte Staffel die bislang schwächste der Serie. Das liegt an der fragwürdigen Entscheidung den unsympathischen neuen Charakter Ani in dem Mittelpunkt zu rücken, dem gescheiterten Versuch für Hassobjekt Bryce nach all seinen abscheulichen Taten, Sympathie und Mitleid zu erzeugen, sowie an der Länge der Staffel. Um 13 Episoden zu füllen hat die dritte Staffel schlichtweg nicht genug Material, was vor allem zu einer zähen ersten Hälfte der Staffel führt. Wer die durchsteht, bekommt dann aber doch noch eine sehenswerte Staffel präsentiert, da die behandelten (Tabu-)Themen weiter nah am Puls der Zeit sind und viele Charaktere eine starke Entwicklung hinlegen. Die sehenswerte zweite Hälfte rettet der dritten Staffel also doch noch eine 7/10. Jetzt bin ich gespannt wie man die Serie im nächsten Jahr mit der vierten und letzten Staffel abschießt, die am Ende der dritten Staffel angedeutet wird. Trotzdem kommt das Serienfinale zwei bis drei Jahre zu spät.
7/10
Poster&Trailer: © Netflix