Tote Mädchen lügen nicht - Staffel 4

Staffelfinale: 05.06.2020 | Anbieter: Netflix | Episoden: 10 | FSK: 16 | Land: USA | Genre: Drama | Originaltitel: 13 Reasons Why


Kritik

Die Schüler einer amerikanischen Highschool, ein junges Mädchen und ein Sebstmord. Damit begann im März 2017 das weltweite Phänomen "13 Reasons Why" (oder im Deutschen "Tote Mädchen lügen nicht"). Die Verfilmung der Romanvorlage von Jay Asher schlug riesige Wellen, weil sie vor schwerwiegenden Themen wie Vergewaltigung, Depressionen und Selbstmord nicht zurückschreckte und damit insbesondere den Nerv der jungen Zuschauerschaft traf. Auch mich hatte die erste Staffel damals voll in ihren Bann gezogen und mitgenommen wie vermutlich keine andere Serienstaffel jemals zuvor. Das Problem daran: Der Hype um "13 Reasons Why" war zu groß um diese später sogar entschärfte erste Staffel, einfach so stehen zu lassen (Inzwischen wurde die Selbstmordszene von Hannah Baker ärgerlicherweise zensiert, obwohl sie ein elementarer Bestandteil der Handlung ist). Netflix ließ der Erfolgsserie eine zweite Staffel folgen, die zwar merklich schwächer war, aber dabei half die Situation aus mehreren Perspektiven nachzuvollziehen, was die Staffel zu einer sinnvollen Ergänzung des Vorgängers machte. Zumindest bis Tyler im Staffelfinale mit der Waffe im Anschlag vor dem Schulball stand. Was folgte war eine schwierige dritte Staffel in der "13 Reasons Why" mit der nervtötenden neuen Erzählerin Ani und der Agenda Oberbösewicht Bryce Walker sympathisch zu machen, seine Bedeutung verlor. Nun erscheint die vierte und letzte Staffel der Netflix-Serie.

 

Ich bin also kein großer Fan der Fortsetzung der Serie im Allgemeinen, insbesondere aber von der dritten Staffel. Auch der Kniff aus der Serie eine Murder Mystery zu machen mit einem klassischen Whodunit?-Plot, funktionierte neben den genannten Schwächen in der Einleitung, nur bedingt. Entsprechend gering waren meine Erwartungen an die letzte Staffel der Netflix-Serie und umso überraschter war ich, dass jene Erwartungen sogar noch untertroffen wurden. Die erste Hälfte dieser Staffel ist nämlich schlichtweg eine Katastrophe. Darin wandelt sich "13 Reasons Why" von einer Drama-Serie zum Psycho-Thriller, inklusive einem inflationären Einsatz von Halluzinationen. Die beiden Toten Charaktere Monty und Bryce, suchen Clay nämlich in seinem Kopf heim und sorgen für einige psychotische Ausbrüche beim sonst so schüchternen Hauptcharakter. Was auch immer die Macher mit diesen Szenen im Sinn hatten, sie funktionieren in keinster Weise. Trauriger Höhepunkt sind dabei die Episoden 3&4, die an Lächerlichkeit kaum zu überbieten sind. Immerhin wirkt der Prank der Footballer, für die Monty unerklärlicherweise plötzlich der Größte gewesen zu sein scheint, mit seinen Blutduschen und Fake-Leichen wie aus einem Horrorfilm. Und tatsächlich kommt es in der vierten Episode auch zu genau solch einem Horrorszenario. Der Waldausflug macht "13 Reasons Why" für kurze Zeit zu einem Horrorfilm, während von wirklich wichtigen Themen und der Aufarbeitung solcher, also Qualitäten die die Serie seit jeher ausgezeichnet hatten, nicht einmal ein Schatten übrig bleibt. Vom eindimensionalen und ziemlich unspannenden neuen Bösewicht Winston, will ich erst gar nicht anfangen. Dessen Motiv Montys Tod aufzuklären wirkt kaum nachvollziehbar. So verkommen die ersten fünf Episoden zum reinen Cringe-Fest und gedanklich hatte ich meinen Verriss schon geschrieben.

Doch dann kommt die zweite Hälfte der Staffel und es passierte das beinahe nicht mehr für möglich gehaltene: "13 Reasons Why" geht weg vom absurden Ausflug ins Horror-Genre und widmet sich endlich wieder wichtigen Themen. Dann stehen gesellschaftlich relevante Themen wie Sicherheitsmaßnahmen in den Schulen und psychische Probleme wieder im Vordergrund, für die die Serie einst gestanden hatte. Während sich die finale Staffel von "13 Reasons Why" damit von Minute zu Minute steigert, gibt es jedoch auch hier das eine oder andere Problem. Zum Beispiel, dass die Taten der endlich wieder im Vordergrund stehenden Charaktere, keinerlei Konsequenzen haben. So drastisch die Aktionen in der vierten Staffel auch sein mögen, in der nächste Episode sind sie längst vergessen. Dadurch entsteht ein wenig der Eindruck einer Anthologieserie, die jede Episode mit einem anderen Thema verbringt. Die Macher versuchen so viele relevante Themen wie möglich in die mit 10 Episoden etwas kürzere Staffel zu drücken, können diesen aber nicht zu einhundert Prozent gerecht werden. Trotz allem findet "13 Reasons Why" in der zweiten Hälfte der Staffel einen Weg aus dem Chaos des Anfangs und sorgt wieder für reges Interesse beim Zuschauer. 

Und dann ist da ja noch das Serienfinale. Die 49. und letzte Episode der Serie kommt in Spielfilmlänge daher und liefert die beste Episode seit der ersten Staffel ab. Bei aller Kritik die ich an Staffel 3&4 geäußert habe und wie sehr man sich auch darüber streiten kann wie notwendig die Fortsetzungen der ersten Staffel waren, am Ende entlässt "13 Reasons Why" seine Zuschauer mit einem runden Abschluss. Mit dem Schulabschluss endet endgültig das Martyrium der "Liberty High"-Schüler und entlässt seine Charaktere mit einem Gefühl der Hoffnung. Ein Gefühl, dass nach all den schwer-verdaulichen Ereignissen in der Serie, für ein äußerst befriedigendes Gefühl sorgt. Doch das Serienfinale kann noch mehr. Denn nicht nur werden die Geschichten von Clay, Jessica und Co. zu einem runden Abschluss gebracht, die letzte Episode drückt auch noch gehörig auf die Tränendrüse. Der fast schon poetische Tod meines Lieblingscharakters sorgt noch einmal für große Emotionen und ich musste mehrfach in den letzten 90 Minuten eine Träne verdrücken. Das macht die desolaten Schwächen der finalen Staffel zwar nicht vergessen, sorgt aber dennoch  für einen gelungenen Payoff nach all dem zwischenzeitlichen Ärger über die kontroverse Serie.

 

Fazit

Ich habe selten eine Serienstaffel gesehen, die sich so sehr gesteigert hat wie die vierte Staffel von "13 Reasons Why". Die erste Hälfte der Staffel ist eine absolute Katastrophe, in der die Serie zu einem absurden Psycho-Thriller mit unzähligen Halluzinationen verkommt, ehe sich die zweite Hälfte der Staffel endlich wieder mit ihren Charakteren und einer Menge gesellschaftlicher Probleme auseinandersetzt. Immerhin ist es genau das, was die grandiose erste Staffel von "13 Reasons Why" (9/10) so wichtig und spannend gemacht hatte. Die letzte Episode in Spielfilmlänge ist dann zusätzlich die beste Episode seit Staffel 1 und überzeugt mit eineinhalb Stunden purer Emotionen und einem ebenso runden, wie versöhnlichen Abschluss für alle Charaktere. Natürlich hätte man dieses Ende auch nach Staffel 2 (8/10) haben können und die Fortsetzungen waren mitunter unnötig (beide 7/10), ganz am Ende gehe ich trotz allem zufrieden aus der Serie heraus. 

 

7/10


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Poster&Trailer: © Netflix