Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

Staffelstart: 19.02.2021 | Anbieter: Prime Video | Episoden: 8 | FSK: 16 | Land: DEU | Genre: Drama


Kritik

Ob die beiden Stern-Reporter Kai Hermann und Horst Rieck im Jahr 1979 ahnten, was sie mit der Geschichte der 15-jährigen Christiane F. auslösen würden? Das biografische Buch "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" schlug damals ein wie eine Bombe und klärte Deutschland erstmals über seine Drogenszene auf. Zwei Jahre später erschien die gleichnamige Verfilmung von Uli Edel, die seither wohl in den meisten Klassenräumen zu sehen war (außer in meinem). Ich kam erst kurz vor dem Serienrelease dazu mir den Film anzuschauen und auch 40 Jahre später hat dieses dreckige, unangenehme und hoffnungslose Werk nichts von seiner Schlagkraft verloren, obwohl "Requiem for a Dream" mein favorisierter Anti-Drogenfilm bleibt. Doch nun schickt sich Amazon an, die Geschichte neu aufzulegen. Mit frischen Gesichtern und einem glanzvollen Look versucht man dabei besonders die heutige Jugend anzusprechen, was jedoch nur bedingt gelingt. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist ein wahnsinnig ambivalentes Werk, da sich die Serie massenhaft Fehler erlaubt, gleichzeitig aber auch ihre unübersehbaren Stärken besitzt. Reicht das aus, um es mit dem Original aufzunehmen?

 

Mit zwölf Jahren beginnt Christiane F. Haschisch zu rauchen, mit 13 Jahren nimmt sie Heroin und mit 14 Jahren verkauft sie ihren Körper auf dem Straßenstrich am Bahnhof Zoo. Die hier geschilderte Geschichte von Christiane F. dürfte hinlänglich bekannt sein und die Serie bleibt der Geschichte auch komplett treu. Auch die Neuauflage spielt im Berlin der späten Siebziger-Jahre und dreht sich um Christianes Clique um Stella, Babsi, Benno, Axel und Michi, die sich in den Rausch der Berliner Clubszene stürzen. Womit wir direkt zu den Stärken und Schwächen der Serie kommen. Positiv sollte erwähnt werden, dass die Serie Christianes Geschichte deutlich ausführlicher erzählt als noch der Film. Stand dort vor allem ihr Drogenkonsum und seine Auswirkungen im Vordergrund, erfährt man in der Serie mehr über die Hintergründe ihrer Taten, wie der Trennung ihrer Eltern. Dazu wird mit dem realen Prozess am Ende und der Brücke zum Stern-interview im Jahr 1979 auch der Bogen zum Buch geschlagen. Elemente die so im Film gar nicht zu sehen waren. Hier zeigen sich einmal mehr die Vorteile einer Serie, die auf Grund ihrer Länge (8 Episoden á ca. 50 Minuten) natürlich deutlich gehaltvoller sein kann als ein 138 Minuten langer Film. Das zeigt sich ganz besonders beim Rest der Clique. Die Nebencharaktere werden deutlich besser charakterisiert und gerade die Geschichten der aus reichem Hause stammenden Babsi und der vergewaltigten Stella wissen hier zu überzeugen. Die Serie hat also gegenüber dem Original einige Stärken vorzuweisen, erlaubt sich jedoch insgesamt zu viele Schwächen.

Die Hauptprobleme der Serie lassen sich in drei Kategorien unterteilen. Zum einen wäre da die Wahl den Darsteller. Nicht dass die Schauspieler einen schlechten Job machen würden, im Gegenteil, gerade Babsi-Darstellerin Lea Drinda sei hier positiv hervorgehoben, jedoch sind sie für ihre Rollen schlichtweg zu alt. Die beim Dreh 21-jährige Jana McKinnon spielt die Rolle der 13-14-jährigen Christiane. Und beim allem Respekt, eine 21-jährige geht in Filmen noch problemlos als 17 oder 18 durch, aber niemals als 13. Dies steht im krassen Gegensatz zu Natja Brunckhorst, die Christiane im Film von 1981 verkörperte und damals ca. 14 Jahre alt war. Natürlich ist  eine solche Rolle harter Tobak für ein so junges Mädchen, allerdings geht viel von der Schockwirkung des Stoffes verloren, wenn statt einem Mädchen eine junge Erwachsene die Hautrolle spielt. Hier hätten die Macher mehr Mut beweisen müssen!

Das gilt aber auch für die beiden anderen Kategorien. Denn "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" bleibt auch insgesamt viel zu brav. Die Serie etabliert früh einen künstlerisch angehauchten Hochglanz-Look, mit beeindruckenden Kostümen und rauschenden Party-Szenen. Diese Szenen stehen im krassen Kontrast zum ungemein dreckigen Original. Bestes Beispiel: Christianes erster Schuss. Im Original setzt sie sich ihre erste Spritze auf einer dreckigen Bahnhof-Toilette, in der Serie in der wunderschönen Umkleide von David Bowie (ja auch Bowie ist wieder Thema). Und das setzt sich weiter fort. Sicherlich wird die Serie in der zweiten Hälfte der Staffel auch einmal unbequem, trotz ihres exzessiven Drogenkonsums sehen die Charaktere jedoch bis auf wenige kurze Szenen, in denen das Make-up etwas verlaufen ist, immer wie aus dem Ei gepellt aus. Fiese Szenen wie der eklige, kalte Entzug von Christiane und ihrem Freund Benno werden nur kurz angerissen und mit etwas Schweiß und Erbrochenem inszeniert. Einige werfen der Serie dadurch vor, dass sie den Drogenkonsum sogar regelrecht verherrlicht. Soweit würde ich jedoch nicht gehen. Ja, die Szenen im Rausch stehen anfangs im Vordergrund, jedoch sieht man genügend Gründe im Verlauf der Serie wieso Drogen wohl trotzdem keine so gute Idee sind. Was man sich jedoch definitiv hätte sparen sollen, sind die teils übertriebenen Szenen der Serie. Wenn die Clique im Rausch auf der Tanzfläche anfängt zu schweben oder wenn der Tod eines wichtigen Charakters lieber so künstlerisch in Szene gesetzt wird, dass man erst nach einiger Zeit realisiert, dass der Charakter überhaupt tot ist. Szenen wie diese Schaden der Serie, da die Tode der eigentlich ans Herz gehenden Charaktere an Gewicht verlieren und damit der Schlagkraft der Serie schaden.

Last but not least, wäre da das dritte Hauptproblem der Serie: Sie weiß nicht was sie sein will. Auf der einen Seite will "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" die 40 Jahre alte Geschichte so werkgetreu wie möglich erzählen, auf der anderen Seite versucht man ein Publikum zu erreichen, dass mit der damaligen Zeit überhaupt nichts anzufangen weiß. Das kann zwar funktionieren, siehe Serienhits wie "Stranger Things", hier jedoch nur bedingt. Auf der einen Seite ist die Clique großer David Bowie-Fan, der echte Bowie war bereits im Original mit an Bord und wird hier natürlich von einem Schauspieler gespielt, was auch etwas ist dass man sich hätte sparen sollen. Wenn ein David Bowie selbstredend nicht mehr zur Verfügung steht und ohnehin nichts zur Geschichte beizutragen hat, hätte man ihn auch gleich streichen können. Zumal durch die Serien-Disco danach ein Electro-Soundtrack wummert, der eher in heutigen Discos als in Siebziger-Jahre Clubs anzutreffen war. Den Serienmachern fehlt hielt der Mut einen klaren Strich zu ziehen. Entweder spielt die Serie in der damaligen Zeit, mit allem was dazugehört, oder man verfrachtet die Handlung gleich ins Jahr 2020. Da die Drogenszene auch heute noch aktiv ist, man ein junges Publikum ansprechen will und man damit auch dem Vergleich zum Original aus dem Weg gegangen wäre, wäre eine komplette Neuausrichtung sicher spannender gewesen. Christianes Geschichte in der heutigen Zeit neu zu erleben, hätte definitiv seinen Reiz gehabt. So muss sich die Serie, trotz einiger Stärken, am Ende dem Original geschlagen geben.

 

Fazit

Die Neuverfilmung von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist eine wahnsinnig ambivalente Geschichte. Für mich verherrlicht die Serie weder Drogen, noch ist sie das von vielen deklarierte Desaster. Im Gegenteil: In einigen Punkten, wie der ausführlicheren Erzählung von Christianes Hintergründen und der Geschichte der anderen Mitglieder der Clique, hat die Serie sogar ihre Vorteile gegenüber dem Film von 1981. Allerdings erlaubt sich die Serie dabei viel zu viele Schwächen. Angefangen bei den zu alten Darstellern, wodurch die Geschichte viel von ihrer Schockwirkung verliert, bis hin zu ihrem Hochglanz-Look, der leider die dreckige Atmosphäre des Originals verdrängt. Dazu kann sich die Serie nicht entscheiden, ob sie Christianes Geschichte nun werkgetreu erzählen will oder ein heutiges, junges Publikum ansprechen will. Es fehlt den Machern der Mut, den Drogenkonsum in all seiner Hässlichkeit darzustellen und der Mut die Geschichte gleich ganz ins Jahr 2020 zu verfrachten. So ist die Prime-Serie leider ein ziemlich zahmes Werk, welches nie die Wirkung des Originals erreicht. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist insgesamt eine solide Serie, die nie langweilig wird, wer jedoch die Wahl hat, der sollte sich lieber den (auch heute noch beeindruckenden) Film ansehen.

 

6/10


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Poster&Trailer: © Amazon Prime Video