The Gray Man

Streaming: 22.07.2022 | Anbieter: Netflix | Laufzeit: 122 Minuten | FSK: 16 Land: USA | Genre: Thriller, Action


Kritik

Nur acht Monate nach dem Start von „Red Notice“ wird der erfolgreichste und bis dato teuerste Netflix-Film aller Zeiten auch schon wieder abgelöst. Stattdessen übernimmt der 200 Millionen Dollar teure Sommerblockbuster „The Gray Man“ den Posten des missratenen Heist-Actioners mit Dwayne Johnson, Ryan Reynolds und Gal Gadot. Das „The Gray Man“ zu Beginn des Jahres in meiner Liste der Filmhighlights des Jahres stand, lag jedoch hauptsächlich am vielversprechenderen Cast&Crew des Films. Immerhin vereint „The Gray Man“ mit Ryan Gosling, Chris Evans und Ana de Armas mehr schauspielerisches Talent vor der Kamera und auch die Regisseure ließen auf einen besseren Actionfilm hoffen. Anthony und Joe Russo inszenieren hier nämlich ihren ersten Film seit dem vorläufigen MCU-Finale "Avengers: Endgame" und haben bereits mit „Captain America: The Winter Soldier“ bewiesen, wie gut sie einen Action-Thriller zu inszenieren wissen. An dessen Klasse reicht „The Gray Man“ zwar nicht heran, doch der Russo-Film ist lange nicht so schlecht, wie er von einigen beschrien wird und konnte mich als solider Action-Thriller gut unterhalten.

 

Court Gentry alias Sierra Six (Ryan Gosling) ist der talentierteste Auftragskiller der CIA, wird aber selbst zur Zielscheibe, als er belastendes Material über den Geheimdienst entdeckt. Sein berüchtigter CIA-Kollege Lloyd Hansen (Chris Evans) setzt ein Kopfgeld auf ihn aus und es beginnt eine gnadenlose Hatz um den Globus.

„The Gray Man“ basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Autor Mark Greaney, der nach Tom Clancys Tod inzwischen die „Jack Ryan“-Reihe fortführt. Der Stoff besitzt zwar durchaus auch Gemeinsamkeiten mit den „Jack Ryan“-Romanen, erinnert aber eher an eine Mischung aus „John Wick“ und der „Bourne“-Reihe. Größtes Problem von „The Gray Man“ ist allerdings die völlig uninteressante Handlung. Zwar funktionieren einige Charakterbeziehungen wie Goslings Story mit dem Kind oder Ana de Armas' Charakter ganz gut, darüber hinaus hat der Netflix-Blockbuster jedoch kaum etwas zu bieten. Am charmantesten könnte ich die Handlung noch als geradlinig beschreiben, ist sie doch lediglich Mittel zum Zweck, um die Charaktere von Action-Setpiece zu Action-Setpiece (typisch Agenten-Actionfilm halt) über den halben Globus zu scheuchen. Mühe, eine interessante Geschichte zu erzählen, gibt sich jedoch niemand, und so werden Gut-und-Böse bereits sehr früh im Film etabliert. Entsprechend dröge fallen die Dialoge aus, während sich die Rückblenden, ein Versuch Goslings Charakter mehr Tiefe zu geben, unnötig anfühlen. Zwar wird niemand ernsthaft eine wendungsreiche Geschichte erwarten, ein bisschen mehr Spannung hätte der langweiligen Handlung jedoch gutgetan.

Und so wartet das Publikum lediglich auf die nächste Actionszene, die es dank der gelungenen Inszenierung der Russo-Brüder aber durchaus in sich haben. Gerade die größte Actionsequenz des Films in Prag weiß zu überzeugen und das Talent der Russos für geradlinige, geerdete und dabei trotzdem spektakuläre Action kommt zum Vorschein. Da auch die Kampfszenen toll choreografiert sind, hatte ich mit den zahlreichen Actionszenen des Films eine Menge Spaß. Wenn da nur die Effekte nicht wären. Immer wieder reißen einen die künstlichen Raucheffekte aus der Immersion und gerade wenn die Action zu übertrieben wird, bröckelt die eigentlich gelungene Action-Fassade. Gerade der Flugzeugabsturz und der Crash der S-Bahn in Prag sehen leider viel zu billig aus, was einem 200 Millionen Dollar teuren Blockbuster einfach nicht passieren darf. Das daran die Gehälter der Stars schuld sein sollen, glaube ich nicht, immerhin verdient jeder große Star in Hollywood-Blockbustern eine Stange Geld. Da es nun aber schon zum wiederholten Male vorkommt, dass die Effekte bei Netflix-Produktionen trotz adäquaten Budgets nicht überzeugen können, frage ich mich langsam, welche VFX-Firmen Netflix denn für sich arbeiten lässt?

Letztendlich sorgt die Action trotzdem für eine Menge Laune und der Film hat mit seinem Cast glücklicherweise noch ein weiteres Eisen im Feuer. Als großer Ryan-Gosling-Fan habe ich in den vergangenen vier Jahren sehnsüchtig auf die Rückkehr meines Lieblingsschauspielers gewartet und sein Comeback hat mich definitiv nicht enttäuscht. Gosling hat nichts verlernt und verkörpert seinen gewohnt stoischen Charakter mit all seiner Klasse und obwohl das Drehbuch nicht allzu viel hergibt, fügt Gosling mit seinem Charisma und einigen lockeren Sprüchen seinem Charakter noch die eine oder andere Facette hinzu. Nicht ganz so stark, aber trotzdem überzeugend fällt der Auftritt von Chris Evans aus. Sein exzentrischer Bösewicht mit dem markanten Schnurrbart wirkt in etwa so, als wollten die Macher Lloyd etwas zu sehr zu einem ikonischen Bösewicht machen, der freidrehende Evans hat aber sichtlich Spaß an seiner unterhaltsamen Rolle. Und Ana de Armas bekommt bei „The Gray Man“ etwas mehr zu tun als im letzten Bond-Abenteuer, wo sie in ihren zehn Minuten ja einen bleibenden Eindruck hinterließ. Ganz so auffällig wie bei „Keine Zeit zu sterben“ ist ihr Auftritt trotzdem nicht. Billy Bob Thornton, Rege Jean-Page, Jessica Henwick und viele mehr runden das insgesamt überzeugende Ensemble ab.

 

Fazit

Knapp vier Jahre mussten wir auf die Rückkehr von Ryan Gosling warten, jetzt kehrt der Kanadier an der Seite von Chris Evans und Ana de Armas im teuersten Netflix-Film aller Zeiten zurück. Das größte Problem von „The Gray Man“ ist dabei die eindimensionale und völlig uninteressante Geschichte, die lediglich Mittel zu Zweck ist und das Publikum sehnsüchtig auf die nächste Actionszene hoffen lässt. Die Action-Setpieces sind dafür aber gelungen und die beiden „Avengers“-Regisseure Joe und Anthony Russo zeigen wie schon bei „Captain America: The Winter Soldier“ wie gut sie geradlinige Action inszenieren können. Zumindest so lange, bis sie auf computergenerierte Effekte zurückgreifen müssen, denn die sehen für einen 200 Millionen Dollar teuren Blockbuster viel zu billig aus. Gerade beim Flugzeugabsturz und dem S-Bahn-Crash in Prag machen sich die schlechten Effekte bemerkbar, während die Action ansonsten aber eine Menge Laune macht. Da zudem auch das Gosling-Comeback in einer wie immer wunderbar stoischen Rolle gelungen ist und Chris Evans als schnauzbärtiger Bösewicht unterhält, hat mir der Russo-Film ganz gut gefallen. Bei dem Cast, den Regisseuren und dem Budget bleibt „The Gray Man“ zwar hinter seinen Möglichkeiten zurück, ist aber zwei Klassen besser als „Red Notice“ und somit längst nicht so schlecht wie von einigen behauptet wird.

 

6/10


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Poster&Trailer: © Netflix