1899 - Staffel 1

Staffelstart: 17.11.2022 | Anbieter: Netflix | Episoden: 8 | FSK: 16 | Land: DEU | Genre: Mystery, Thriller


Kritik

„Wach auf“, die neue Serie der Showrunner der besten deutschen Serie aller Zeiten ist da! Schon während der Produktion ihres Meisterwerks „Dark“ haben die Eheleute und Showrunner Jantje Friese und Baran Bo Odar einen Exklusivvertrag mit Netflix unterschrieben. Und dieser trägt nun zwei Jahre nach der dritten und letzten Staffel ihrer Hit-Serie erstmals Früchte. Mit einem Budget von 48 Millionen Dollar ist „1899“ das aufwendigste und teuerste deutsche Serienprojekt was es je gab, dass zudem für ein Novum sorgt: Nachdem „The Mandalorian“ den Weg bereitet hat, hat man nun auch im Studio Babelsberg ein modernes Volume-Studio eingerichtet und „1899“ ist der erste deutsche Stoff, der mit der brandneuen LED-Rückprojektionstechnik gefilmt wurde. Interessierten kann ich dabei nur das 50-minütige Behind-the-Scenes-Video „Making 1899“ auf Netflix empfehlen, das einen spannenden Einblick hinter die Kulissen der Produktion wirft. Aber „1899“ ist mehr als eine Tech-Demo, denn mit ihrem wendungsreichen Mysterythriller beweisen Friese und Odar, dass sie derzeit die besten Filmemacher Deutschlands sind!

 

„1899“ folgt den Geschehnissen an Bord des Auswandererschiffes Kerberos, das im Jahr 1899 mit einer multilingualen Besatzung unterwegs ist. Dabei trifft Kapitän Eyk (Andreas Pietschmann) auf das seit vier Monate verschollene Geisterschiff Prometheus und die zahlreichen Geheimnisse des Schiffes machen die Überfahrt zu einem schrecklichen Albtraum. 

Die Inhaltsangabe der Serie klingt wie ein gewöhnlicher Horrorfilm und tatsächlich besitzt „1899“ mehr Horror-Anleihen als „Dark“. So wandelt sich das anfängliche Historiendrama recht schnell zu einem Horrorthriller (allerdings ohne richtig gruselig zu sein) und später noch zu einem anderen Genre. Verraten werde ich dieses Genre aber genauso wenig wie die offensichtlichen Vergleichsfilme, die mir bei der Sichtung in den Sinn gekommen sind, denn dann würde ich direkt die ganze Story spoilern. Und das sollte man tunlichst vermeiden, denn was sich Drehbuchautorin Jantje Friese da schon wieder ausgedacht hat, ist schlichtweg beeindruckend. Bereits bei „Dark“ habe ich Friese als Genie bezeichnet und langsam kann man sie wirklich als deutsche Christopher Nolan bezeichnen. Ein größeres Lob kann es von mir eigentlich nicht geben und im Jantje-Friese-Fanbus sitze ich ganz vorne! Der Mysterythriller ist wieder voll mit Symbolik, Rätseln und verschachtelten Geheimnissen, die auch „1899“ wieder zum puren Mindfuck machen. Rückblickend betrachtet, kann ich über meine Theorien, die ich nach dem Trailer aufgestellt habe, nur lachen, denn die tatsächliche Handlung könnte nicht weiter davon weg sein. Spätestens mit dem großen Twist im Staffelfinale, welcher das Publikum mit einem Mega-Cliffhanger zurücklässt. Davon ausgehend kann sich die zweite Staffel nun in jede erdenkliche Richtung entwickeln. Und um noch über den Elefanten im Raum zu sprechen: Jantje Friese hat sich schon immer gerne inspirieren lassen. So waren bei „Who Am I“ die Verweise auf „Fight Club“ deutlich zu sehen und auch „1899“ weckt wie bereits erwähnt, Erinnerungen an andere Hollywood-Blockbuster. Dass sie die Geschichte eines eigentlich unbekannten brasilianischen Comics kopiert haben soll, wie es die Comicautorin behauptet, kann ich mir trotz einiger Parallelen aber nicht vorstellen. Ich glaube, „Dark“ hat gezeigt, dass Friese das auch alleine hinkriegt.

Wenn ich am wendungsreichen und schlichtweg fantastischen Drehbuch etwas zu kritisieren haben, dann sind es die Nebencharaktere. Die Handlung der Hauptfiguren um Kapitän Eyk, der vom einzigen Überbleibsel des „Dark“-Castes Andreas Pietschmann wieder richtig gut verkörpert wird, und der jungen Ärztin Maura, (ebenfalls stark: Emily Beecham) funktioniert richtig gut und bildet das mitreißende Zentrum des Films. Die Geschichte der anderen Passagiere kann damit aber nicht mithalten und die Serie wird gerade in der ersten Episoden dadurch immer wieder ausgebremst. Dadurch wirkt das Gesamtwerk nicht ganz so rund wie bei „Dark“. Interessant sind hingegen die unterschiedlichen Sprachen in der Serie und die Verständigungsprobleme der Charaktere. Neben Englisch und Deutsch werden zahlreiche weitere Sprachen wie Spanisch, Kantonesisch, Dänisch und viele mehr gesprochen. Der deutschen Synchro, die über alle sprachlichen Unterschiede gnadenlos drüber synchronisiert, geht dadurch einiges an Authentizität verloren. Meine klare Empfehlung gilt daher der englischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln!

Neben dem Drehbuch gilt es aber auch über Baran Bo Odar zu schreiben, der wieder bei allen acht Episoden Regie führt. Seine Markenzeichen aus „Dark“ sind auch hier zu erkennen, wer damals also zu den Leuten gehört hat, die den Musikeinsatz am Ende einer jeden Episode kritisiert haben, wird auch hier nicht glücklich werden. Ich bin weiter großer Fan seiner kraftvollen Inszenierung, zumal die Serie einen sehr atmosphärischen Eindruck hinterlässt. Die Kombination aus Odars düsteren Bildern mit ihren tollen Lichtstimmungen und den atmosphärischen Klängen von Ben Frost Soundtrack sorgen für die passende Stimmung auf dem Geisterschiff. Und auch der Einsatz von „The Volume“ scheint sich auszuzahlen, denn die Serie sieht einfach richtig gut aus. Dabei hat Netflix ordentlich Budget locker gemacht, denn die Entwicklung aus „Dark“, wo die Effekte mit jeder Staffel aufwendiger wurden, wird auch hier nahtlos fortgesetzt. Wenn das Kreuzfahrtschiff in der regnerischen Nacht durch die tosenden Wellen bricht, macht das richtig was her.

 

Fazit

Die bisher teuerste deutsche Serie war vor diesem Jahr mein zweitgrößtes Serienhighlight des Jahres. Kein Wunder, denn mit ihrem Meisterwerk „Dark“ haben die beiden Showrunner Jantje Friese und Baran Bo Odar die beste deutsche Serie aller Zeiten abgeliefert. An diese Qualität reicht die erste Staffel von „1899“ noch nicht heran, dafür sorgen die nicht ganz so gelungenen Nebencharaktere, deren Geschichten längst nicht so spannend sind wie die der Hauptfiguren um Kapitän Eyk und der jungen Ärztin Maura. Deren Geschichte funktioniert dank der unzähligen Mysterien, Rätsel und Symbolik dafür umso besser und spätestens durch den Mega-Cliffhanger im Finale bleibt auch der Verlauf der zweiten Staffel völlig offen. Drehbuchautorin Jantje Friese liefert mit „1899“ wieder einen wendungsreichen und genialen Mysterythriller ab, der meine Theorien vor Beginn der Serie völlig unterlaufen hat und sie immer mehr zur deutschen Christopher Nolan macht! Und auch ihr Ehemann Baran Bo Odar sorgt mit seiner hochkarätigen Inszenierung für beeindruckende Bilder und Lichtstimmungen. Im Zusammenspiel mit den bedrohlichen Klängen von Ben Frost ist „1899“ ein ungemein düsterer und atmosphärischer Thriller geworden, der deutlich mehr Horroranleihen als „Dark“ besitzt. Meine Empfehlung gilt zudem der englischen Originalfassung mit Untertiteln, die die spannenden Sprachunterschiede zwischen den Passagieren heraushebt, die in der synchronisierten Fassung komplett verloren gehen. Wer sich für die „Volume“-Technologie interessiert, kann ich zudem den spannenden Einblick hinter die Kulissen in „Making 1899“ empfehlen. Alles in allem ein starker Auftakt!

 

8/10


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Poster&Trailer: © Netflix