Masse statt Klasse - Wenn Spielen zur Arbeit wird

Mein Problem mit Open-World-Spielen, die immer größer werden und immer mehr zur Arbeit ausarten.

The Witcher 3 © CD Project Red
The Witcher 3 © CD Project Red

Februar 2020 - Videospiele haben im Jahr 2020 mit einem entscheidenden Problem zu kämpfen. Mehr AAA-Titel denn je setzen nach den Erfolgen von "Grand Theft Auto V" und "Assassin's Creed" auf eine offene Spielwelt und vergessen dabei vor lauter Wettrüsten mit den Spielen der Konkurrenz den wichtigsten Faktor: Den Spielspaß. Auf der Jagd nach immer schöneren, größeren und immersiveren offenen Welten haben viele Spielentwickler längst das gesunde Maß aus den Augen verloren. Und so fühlen sich viele Spiele-Blockbuster der letzten Jahre immer mehr nach Masse statt nach Klasse an. Ein Trend der auch an mir nicht spurlos vorüber gegangen ist. Denn während die offenen Welten der "GTA"-Reihe mich immer wieder zum Schwärmen bringen und ich liebend gerne auf die ersten Teile der "Assassin's Creed"-Reihe zurückblicke, arten heutzutage die großen Open-World-Titel immer mehr zur Arbeit aus. In Blockbustern wie "The Witcher 3" oder "Assassin's Creed Odyssey", kann man inzwischen nämlich mehr Zeit als in seinem eigentlichen Job verbringen. Eine unschöne Entwicklung, denn gerade bei Open-World-Spielen gilt: Weniger ist manchmal definitiv mehr!

Ein Anblick des Grauens: Die Karte von "The Witcher 3" © CD Project Red
Ein Anblick des Grauens: Die Karte von "The Witcher 3" © CD Project Red

Warum "The Witcher 3" kein Meisterwerk ist

Beginnen wir also mit dem wohl beliebtesten und für viele besten Videospiel dieser Konsolengeneration: "The Witcher 3: Wild Hunt". Damit wir uns nicht falsch verstehen, das dritte Abenteuer des Hexers ist ein fantastisches Spiel, dass auch bei mir noch lange nachgeklungen hat. Vom perfekten Spiel ist aber auch "The Witcher 3" ein ganzes Stück weit entfernt. Das hat in erster Linie mit der schieren Größe des Abenteuers zu tun. Die Welt von "The Witcher 3" ist schlichtweg gigantisch und selbst nach dem durchspielen, hat man kaum alle Ecken des Spiels erblickt. Dazu wird man als Spieler von einer regelrechten Armee von Fragezeichen auf der Weltkarte erschlagen, die alle paar Meter zum entdecken und erkunden einladen. Schätze, Monsternester, Pferderennen und vieles mehr warten auf den Spieler. Hinzu kommt ein ausuferndes Inventar mit unzähligen Rezepten und Gegenständen, die einen gerade zu Beginn des Spiels förmlich erschlagen. Von der schier endlosen Liste an Nebenquests ganz zu schweigen. An gefühlt jeder Ecke in der Spielwelt wartet eine Nebenquest auf den Spieler und an den unzähligen schwarzen Brettern warten ganze Listen mit Aufträgen und Sammelaufgaben für den Hexer. Zumindest wenn man Lust darauf hat. Wenn man all die mitnimmt, kommt man auf eine lange Liste an Quests, dank derer man über 300 Stunden alleine in das Hauptspiel versenken kann. Und natürlich klingt es fast absurd wenn ich mich über zu viel Spielspaß beschwere, immerhin sind die 60€ selten so gut angelegt gewesen wie bei diesem Spiel, mir war die Masse an Aufgaben allerdings viel zu groß. Denn letztlich wirkt der Großteil davon nur wie eine Beschäftigungstherapie, da man die meiste Zeit die immer gleichen Aufgaben erledigt. Ein Fragezeichen nach dem anderen auf der Karte abzuklappern wirkt letztlich wie das abhaken einer öden Checkliste und die lange Liste an Quests wie eine endlose To-Do-Liste. In diesem Moment ebbte mein Spielspaß an "The Witcher 3" merklich ab, weil aus dem Spiel eine Arbeit wurde und ich ließ das Spiel noch früh im ersten Drittel der Geschichte wieder links liegen.

Horizon: Zero Dawn © Sony
Horizon: Zero Dawn © Sony

Was "Horizon: Zero Dawn" besser macht

Zum Glück bin ich zwei Jahre später noch einmal zurückgekehrt, denn was wäre mir doch für ein spielerischer Meilenstein entgangen, mit all seinen emotional erzählten Geschichten. Mit einer neuen Strategie, packte mich letztlich auch "The Witcher 3". Im Verlauf des Spiels habe ich gelernt meinen Fokus auf die Hauptquests zu legen und die Nebenaufgaben größtenteils links liegen zu lassen. Ein Bauer spricht mich auf der Straße an weil er seine Tochter vermisst? Egal! Ein kleines Dorf wird von einem blutrünstigen Monster heimgesucht? Egal! Ja das mag herzlos erscheinen, doch letzten Endes konnte mich das Spiel erst dadurch so richtig packen. Dennoch habe ich sämtliche Nebenquests mit Charakteren aus der Hauptstory abgeschlossen und alle Gwent-Spiele die man in "The Witcher 3" absolvieren kann gespielt. Ich muss mich also nicht sklavisch an die Hauptquests halten und kann trotzdem die Erzählung etwas straffen. Dass ich dabei vielleicht die eine oder andere spannende Nebenhandlung verpasst habe, für die das Rollenspiel so vehement gelobt wird, war letztlich ein notwendiges Übel.

Das große Problem daran ist folgendes: Wenn solche Nebenbeschäftigungen rein optional bleiben würden, wie es beispielsweise bei den Rockstar-Titeln üblich ist, gäbe es für mich keinen Anlass zur Kritik. Immerhin kann jeder selbst entscheiden ob er jeden Winkel der Spielwelt entdecken möchte oder nicht. Durch die Levelbegrenzungen werden Spieler jedoch dazu gezwungen den Nebenaufgaben nachzugehen, denn ohne das erforderliche Level hat man in den Kämpfen nicht den Hauch einer Chance. Dieser Zwang hat sich vor allem in "Assassin's Creed Odyssey" negativ bemerkbar gemacht und für einen öden Grind gesorgt. Immer wieder musste ich Nebenbeschäftigungen nachgehen auf die ich eigentliche gar keine Lust hatte, was mein Interesse am Spiel oft gesenkt hat. Ein großer Nachteil dieser Nebenbeschäftigungen ist schließlich auch, dass man die Hauptstory aus den Augen verliert. Wenn mehrere Stunden zwischen den einzelnen Hauptquests vergehen, verliere ich schnell das Interesse am meiner Meinung nach wichtigsten Aspekt eines Videospiels: Der spannenden Erzählung. Auch da hat "The Witcher 3" natürlich seine Schwächen. So großartig die kleinen Geschichten um Yennefer und Keira Metz (Die bei mir ein unrühmliches Ende nahm und mich moralisch noch heute schwer beschäftigt) auch sein mögen, die ersten zwei Drittel der Geschichte bestehen aus einer belanglosen Schnitzeljagd nach Ciri, die lediglich dafür da ist, die zahlreichen Nebenaufgaben in den Fokus zu rücken. Erst im letzten Drittel zieht die Geschichte von "The Witcher 3" endlich an und mich konnte dann auch die eigentlich starke Hauptstory überzeugen. Die zu große Welt und der fehlende Fokus der Hauptstory sind für mich zwar die einzigen, aber sehr störenden Kritikpunkte an "The Witcher 3". Ein Open-World-Abenteuer dass die Mischung aus spielerischer Freiheit und spannender Erzählung deutlich besser hinbekommen hat, ist "Horizon: Zero Dawn". Der PS4-Exklusivtitel gehört zu meinen absoluten Favoriten, da die Geschichte (gerade gegen Ende) zu den genialsten und besten gehört die ich jemals gespielt habe, die taktischen Kämpfe gegen die großartigen Maschinenwesen dem Spiel eine ganz andere Tiefe geben und die Welt nicht übertrieben groß und vollgestopft mit Nebenaufgaben ist. All das hat "Horizon: Zero Dawn" für mich zu einem perfekten Beispiel dafür gemacht, wie eine lebendige Open-World auszusehen hat. 

Red Dead Redemption 2 © Rockstar Games
Red Dead Redemption 2 © Rockstar Games

Weniger ist bei Open-World-Spielen definitiv mehr

Letzten Endes hat mir meine Taktik vom Fokus auf die Hauptquests einen Zugang zu Open-World-Spielen geschaffen, den mir die Spielentwickler zuvor nicht geben konnten. Immerhin habe ich auch das viel gepriesene "Skyrim" trotz zweier Anläufe gnadenlos links liegen gelassen. "The Witcher 3" habe ich derweil in knapp 60 Stunden beendet, mit den beiden fantastischen DLC's kam ich am Ende auf 95 Stunden. Zur Freiheit der offenen Welt gehört inzwischen nunmal auch die Freiheit bestimmte Spielinhalte nicht zu nutzen. Das ist zwar nicht der Sinn der Sache, in Zeiten in denen wir von Videospielen und anderen Medien geradezu überflutet werden, aber ein notwendiges Mittel. Je länger ein Spiel dauern soll und je größer die Spielwelt angepriesen wird, desto mehr schreckt mich ein Videospiel inzwischen einfach ab, da ich genau weiß, wie viel schnöde Beschäftigungstherapie mir dabei bevorsteht. Auch andere Spieler haben die Problematik längst erkannt. Ebenfalls großartige Open-World-Titel wie "Red Dead Redemption 2" und "Death Stranding" wurden von vielen als Reit- bzw. Laufsimulator verspottet. Das Wettrüsten der Spielentwickler muss langsam aber sicher ein Ende haben und stattdessen sollte wieder eine spannende Geschichte in den Vordergrund gerückt werden, die mehr ist als nur ein Mittel zum Zweck. Denn die genannten Probleme betreffen ja nicht nur "The Witcher 3" und "Assassin's Creed Odyssey", sondern Open-World-RPG's im Allgemeinen. Dadurch ist mir letzten Endes ein schlauchiges, durchinszeniertes Spiel wie ein "The Last of Us" oder "Heavy Rain", immer noch lieber als die Freiheiten einer offenen Welt zu besitzen. 


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