Das Ende des Goldenen Streaming-Zeitalters

„Stranger Things“ © Netflix
„Stranger Things“ © Netflix
Das Ergebnis meiner Instagram-Umfrage
Das Ergebnis meiner Instagram-Umfrage

November 2022 - Netflix strauchelt, Streaming verliert an Bedeutung, die Werbeabos kommen! Mit der Einführung eines Werbeabos am 3. November hat Netflix auf die sinkenden Abozahlen aus dem zweiten Quartal reagiert, die die Aktie des Streaming-Giganten in den Keller stürzen ließen. Zwar hat sich die Aktie nach dem unerwartet großen Zuwachs an Abonnierenden im dritten Quartal wieder stabilisiert, das Werbeabo war trotzdem unvermeidlich. Die vierte Abo-Variante wird zu einem Preis von 4,99€ im Monat angeboten und ist damit 3€ günstiger als der Basis-Tarif ohne Werbung. Dafür warten durchschnittlich vier bis fünf Minuten Werbung pro Stunde auf die Nutzer:innen, die damit zurück in die Steinzeit (aka Free-TV) katapultiert werden. In meiner Instagram-Umfrage haben 74% meiner Follower:innen angegeben, dass ein werbefinanziertes Modell für sie nicht infrage kommt, während 13% das neue Abo wenigstens ausprobieren wollen. Lediglich 5% gaben an, dass sie von nun an das neue Modell abonnieren werden. Wegzudenken sind solche Werbeabos aber längst nicht mehr. Nachdem in den USA mit den Werbevarianten von Hulu und HBO Max bereits große Erfolge erzielt wurden, schwappt die Welle nun auch nach Deutschland über. Vor Netflix hat Amazon mit dem werbefinanzierten Freevee sogar eine kostenlose Plattform aus dem Boden gestampft und Disney+ wird voraussichtlich im Dezember mit einem Werbeabo nachziehen. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber wenn selbst der größte Streaminganbieter, der Werbung von Anfang an verpönt hatte, nun auf diesen Zug aufspringt, lässt das nur einen Schluss zu: Der große Streaming-Hype ist erst einmal vorbei und Netflix und Co. hat die harte Realität eingeholt.

„Yellowstone“: Der US-Hit kommt bald zu Paramount+ © Paramount
„Yellowstone“: Der US-Hit kommt bald zu Paramount+ © Paramount

Die Rückkehr zur Werbung war unvermeidlich

Als Netflix im September 2014 mit seinen ersten Eigenproduktionen wie „House of Cards“ und „Orange Is the New Black“ in Deutschland an den Start ging, war die Streaming-Welt noch eine andere. Eine einzige Plattform, die so viele Filme und Serien auf einmal verfügbar machte, sorgte nicht nur für den Tod der Videotheken, sondern auch für einen starken Rückgang der Filmpiraterie. Dann wollten jedoch alle Hollywoodstudios etwas vom großen Kuchen abhaben und die Streamingdienste schossen wie Pilze aus dem Boden. Wobei ich hier auch die Gegenwartsform anwenden könnte, denn mit dem Deutschlandstart von Paramount+ am 8. Dezember drängen noch immer neue Streamingdienste auf den Markt. Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Hinter den großen drei um Netflix (223 Mio. Abonnierende), Prime Video (200 Mio.) und Disney+ (152 Mio.) wird die Luft demnach immer dünner. Diese Zerstückelung des Marktes hat nicht nur für einen großen Konkurrenzkampf zwischen den Diensten gesorgt, sondern auch viele Nutzer:innen wieder zurück in die Piraterie getrieben, da mehrere immer teurer werdende Abos natürlich sehr ins Geld gehen. Entsprechend dürften die vergünstigten Werbevarianten gerade für diejenigen interessant sein, die nicht mehr so viel Geld ausgeben wollen und bereits mit einer Kündigung liebäugeln. Am spannendsten ist so ein Abo jedoch nicht für die, die bereits die Vorzüge eines werbefreien Abos genießen, sondern für neue Nutzer:innen, die das Geld bisher nicht in die Hand nehmen wollten. In einer US-Umfrage gaben demnach 39% der Menschen, die keinen Netflix-Account besitzen, an, dass sie bei einer Werbevariante ein Abo in Betracht ziehen würden (bei Disney+ waren es 26%). Gerade für Netflix birgt dieser Kurswechsel also die Chance, in einer Zeit, in der das Unternehmen scheinbar den Gipfel des Wachstums erreicht hatte, weiterhin für einen konstanten Zuwachs an Abonnierenden zu sorgen. Und wie wichtig es für Netflix ist, die Aktionäre und Aktionärinnen bei Laune zu halten, hat der Kurseinbruch vor ein paar Monaten eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wir können uns also bereits darauf einstellen, dass auch gegen das beliebte Passwortteilen Anfang nächsten Jahres konsequent vorgegangen wird...

„Top Gun: Maverick“: Der Gegenentwurf zum Streaming © Paramount
„Top Gun: Maverick“: Der Gegenentwurf zum Streaming © Paramount

Streaming muss profitabler werden

Zum Start von Disney+ im November 2019 kostete ein Abo lediglich 6,99€ im Monat. Einen Preis, den Disney-CEO Bob Chapek heute für „ziemlich absurd“ hält. Entsprechend wird Disney+ mit dem US-Start des Werbeabos am 8. Dezember zum zweiten Mal seine Preise erhöhen (das Werbeabo wird dann weiter 7,99$ kosten, während der normale Tarif auf 10,99$ angehoben wird). Hier zeigt sich, dass auch Disney+ und Co. langsam profitabel werden müssen, denn während Netflix jährlich rund 5-6 Milliarden Dollar Umsatz erzielt, dürften die Mitbewerber bisher eher rote Zahlen schreiben. Entsprechend findet vielerorts bereits ein Umdenken statt und Streaming wird nicht mehr die ganz große Bedeutung zugemessen wie bisher. Beispielsweise veröffentlicht Disney seine Pixar-Filme wieder im Kino statt auf Disney+ und unter dem neuen Warner Bros. Discovery-Boss David Zaslav steht der hauseigene Dienst HBO Max, auf dem im vergangenen Jahr noch sämtliche Warner-Filme zeitgleich zum Kinostart veröffentlicht wurden, sogar vor dem Aus. Denn die jüngsten Erfolge von „Top Gun: Maverick“ und Co. haben Hollywood gezeigt, das exklusive Kinoveröffentlichungen noch immer lukrativer sind als direkte Veröffentlichungen im Streaming.

Heiß diskutiert und trotzdem gefloppt: „Blond“ © Netflix
Heiß diskutiert und trotzdem gefloppt: „Blond“ © Netflix

Der Content wird sich verändern

Das Ende des großen Streaming-Hypes dürfte langsam aber auch für weniger Investitionen sorgen, weswegen sich der Content zwangsläufig verändern wird. Immerhin gibt Netflix im Jahr 2022 ganze 17 Milliarden Dollar für neue Inhalte aus, während Disney sogar 33 Milliarden Dollar für seine unterschiedlichen Dienste ausgibt (In den USA gehören dazu auch ESPN, Hulu und Co.). Die Zeiten, in denen jeder Mist produziert wurde, Hauptsache die Unternehmen konnten ihre Kunden und Kundinnen mit Inhalten versorgen, scheinen allmählich vorbei zu sein. Gerade der Ruf von Netflix hat in den letzten Monaten gelitten, da viele Eigenproduktionen für die Tonne waren und die Kritik des Publikums immer lauter wurde. Auf der einen Seite würde es sicher nicht schaden, wenn Netflix weniger mittelmäßige Produktionen veröffentlichen würde, auf der anderen Seite ist klar, dass darunter die enorme Risikofreude des Unternehmens leiden würde. Knapp dreistündige Arthouse-Dramen wie „Blond“ dürften es in Zukunft wieder deutlich schwerer haben, einen Abnehmer zu finden. Der Flop des zwar viel diskutierten, aber kaum geschauten Films von Andrew Dominik steht einfach in viel zu krassem Kontrast zu den seichten, aber sehr erfolgreichen Blockbustern wie „Red Notice“ (60 Millionen geschaute Stunden in den ersten 28 Tagen gegen 364 Millionen geschaute Stunden). Von der Sehnsucht von Netflix, endlich den Oscar als bester Film einzuheimsen, einmal abgesehen, dürfte Netflix in Zukunft kaum etwas davon abhalten, ihr Geld eher in große Publikumsmagnete statt in kleinere Projekte zu setzten. Eine Entwicklung, die in den Kinosälen längst nicht mehr aufzuhalten ist und wie die Werbung wohl auch die Streamingdienste heimsuchen wird. Dafür ist der Konkurrenzkampf einfach zu groß und die teuren Marvel- und Star Wars-Produktionen von Disney+ sowie die Netflix-Blockbuster um „Red Notice“ und „Stranger Things“ locken unter dem Strich einfach mehr Abonnierende an. 

Vielleicht male ich die Zukunft der Streamingdienste aber auch etwas zu düster und der Content wird weiterhin so ausgewogen bleiben, um ein möglichst breites Spektrum von potenziellen Nutzer:innen abzudecken. Eines lässt sich dennoch festhalten: Durch die Zerstückelung des Marktes, die steigenden Preise und der Einführung von Werbung liegt das goldene Streaming-Zeitalter erst mal hinter uns.


Kommentare: 0