Palworld im Test - Das bessere Pokémon

Palworld © Pocketpair
Palworld © Pocketpair

Der Überraschungshit des Jahres hört schon jetzt auf den Namen „Palworld“: Zwölf Millionen Einheiten konnte das 30€ teure Indie-Spiel vom japanischen Entwicklerstudio Pocketpair in den ersten drei Wochen absetzen. Dazu kommen sieben Millionen Spielerinnen und Spieler auf der Xbox, wo das Open-World-Survival-Crafting-Spiel zum Release im Game Pass zur Verfügung stand. Und auf Steam setzte man sich mit 2,1 Millionen gleichzeitigen Spielern sensationell auf den zweiten Platz der meistgespielten Spiele aller Zeiten, vor so legendären Free2Play-Titeln wie „Counter-Strike 2“. Der als „Pokémon mit Waffen“ bekannt gewordene Indie-Hit hat auch mich in den vergangenen zweieinhalb Wochen voll im Griff gehabt und ich habe alle 137 Pals gefangen, die Welt vollständig erkundet, das Lager maximal ausgebaut, Level 50 erreicht und sämtliche Bosse geschlagen. Und nach diesen 70 Stunden muss ich meine anfängliche Meinung, dass ich mit keinem „Pokémon“ seit der dritten Generation mehr so viel Spaß hatte wie bei diesem Spiel noch einmal revidieren. Denn „Palworld“ ist schlicht und ergreifend das beste „Pokémon“ aller Zeiten!

Im Paldex gibt es alle Infos zu den schicken Taschenmonstern
Im Paldex gibt es alle Infos zu den schicken Taschenmonstern

Die „Palworld“-Kontroverse: Alles nur geklaut?

Allerdings wird nicht nur über die großen Erfolge des Spiels gesprochen, sondern auch über die zahlreichen Kontroversen, für die das Spiel seit Release gesorgt hat. Denn Pocketpair ließ sich offensichtlich sehr von Nintendos Mega-Franchise inspirieren. In der offenen Spielwelt laufen wir nicht nur unzähligen Taschenmonstern über den Weg, wir können sie mit Poké-Bällen bzw. Pal-Sphären, nachdem wir sie im Kampf geschwächt haben, auch einfangen und damit den sogenannten Paldex vervollständigen. Allerdings wird nicht nur das klassische Spielprinzip der Gamefreak-Spiele übernommen, auch die Monster sehen den Pokémon teils verblüffend ähnlich. Da wird ein Evoli zu Cremis und ein Pikachu zu Sparkit und mehrere Internetnutzer haben bereits entsprechende Designvergleiche gezogen. Laut dem Pocketpair-Boss stammen sämtliche 137 Pals zudem von einer einzigen Designerin, was eigentlich fast unmöglich zu schaffen ist und schnell den Vorwurf von K.I. generierten Monstern aufkommen ließ. Was wirklich an diesen Vorwürfen dran ist werden die nächsten Wochen und Monaten zeigen, hätte Nintendo aber wirklich eine Rechtsgrundlage Pocketpair zu verklagen, dann hätten sie den japanischen Kollegen wohl längst die Anwälte auf den Hals gehetzt. Wie dem „Palworld“-Modder, der seine „Pokémon“-Mod schon nach kurzer Zeit wieder einstampfen musste. Fakt ist, als Spieler haben mich diese Vorwürfe überhaupt nicht gestört, denn im Gegensatz zu den letzten „Pokémon“-Generationen finde ich das Kreaturendesign schlichtweg herausragend. Unter den 137 Pals verstecken sich einige wahre Schönheiten und ich hatte große Freude daran, die einzelnen Monster zu entdecken und zu sammeln.

Die Pals schuften zwar am Fließband, brauchen in Betten und Pools aber auch Erholung
Die Pals schuften zwar am Fließband, brauchen in Betten und Pools aber auch Erholung

Mehr als nur „Pokémon“ mit Waffen

Wie in „Pokémon“ leveln wir unsere Pals im Kampf, besiegen die Arenaleiter, die hier als Bosskämpfe inszeniert sind, streifen durch die Spielwelt und versuchen den Paldex zu vervollständigen. Das wars. Doch wo „Pokémon“ aufhört, fängt „Palworld“ gerade erst an! Denn was das Sammeln in „Palworld“ so motivierend macht, ist, dass die Pals noch einen Nutzen haben. Es sind nicht nur die 6 Pokémon bzw. 5 Pals die wir im Team dabei haben, uns bei den Kämpfen unterstützen und der Rest ist "Nice to Have". Stattdessen helfen uns die Pals im Lager weiter, wo sie die unterschiedlichsten Aufgaben übernehmen können. Pflanzen-Pals beackern die Felder, Wasser-Pals bewässern sie und Bauwerke wie die Mühle, Feuer-Pals feuern die Hochöfen an und wieder andere helfen uns beim Craften. Denn „Palworld“ bedient sich neben „Pokémon“ auch bei Spielen wie „Ark“, lässt uns ein Lager bauen, Items craften, Level aufsteigen und besitzt einen Survival-Aspekt. Für einen Early-Access-Titel schnürt „Palworld“ ein erstaunlich umfangreiches Paket und die Kombination aus all diesen Elementen ist unfassbar motivierend und sorgt für eine Suchtspirale, wie ich sie neben den „Anno“-Spielen nur selten erlebt habe. Denn zu tun gibt es immer irgendwas.

Die eigenen Pals helfen beim knackigen Kampf gegen das legendäre Frostallion
Die eigenen Pals helfen beim knackigen Kampf gegen das legendäre Frostallion

Der perfekte Gameplay-Loop

Da wäre zum einen die Erkundung der wahrlich gigantischen Spielwelt mit ihren unterschiedlichen Wald-, Eis-, Wüsten- und Vulkan-Biome. Es gilt Schnellreise-Punkte freizuschalten, die bei der Größe der Welt trotz reitbarer Flug-Pals, mehr als nützlich sind. Es gilt überall in der Welt verstreute Kisten zu öffnen, Pal-Eier zum Ausbrüten und Lifmunk-Statuen einzusammeln, mit denen wir unsere Fangchancen erhöhen. Dazu farmen wir Materialien wie Erze und Kohle und töten Pals, um an ihre Rohstoffe wie Fleisch und Leder heranzukommen. Damit craften wir dann alles mögliche wie verschiedene Sphären, um den Paldex nach und nach zu vervollständigen und versuchen die einzigarten Alpha-Pals, größere und stärkere Varianten der einzelnen Pals, in Bosskämpfen einzufangen. Zufällig begegnen wir dabei auch gold-leuchtenden Lucky-Pals (die Shinys von „Palworld“) und mit Frostallion, Jetragon, Necromus und Paladius gibt es auch hier vier mächtige Legendäre-Pals zu entdecken. Über die EP, die wir hauptsächlich durch das Fangen erhalten, steigen wir in den insgesamt 50 Leveln auf und schalten darüber neue Bauwerke für das Lager, Waffen und Rüstungen sowie vieles mehr frei. Oder wir funktionieren unsere Feuer-Pals zu Flammenwerfern um und statten unser Grizzbold mit einer Minigun aus. Da sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Zuhause im Lager angekommen bauen wir uns ein beschauliches Haus, paaren verschiedene Pal-Spezies miteinander und lassen die Pals dann sogar am Fließband arbeiten.

 

Der Umgang mit den regelrechten Arbeitssklaven hat ebenfalls für einige Kontroversen gesorgt, zumal man dank Sturmgewehren und Raketenwerfern nicht gerade zimperlich mit den Pals umgeht. Richtig abgründig wird es jedoch erst mit dem Entsafter, mit dessen Hilfe wir mehrere Pals "weiterverarbeiten" können, um damit einen einzelnen Pal derselben Spezies zu stärken. Und dass man mit dem Schlachtermesser nicht nur Pals, sondern auch die ebenfalls fangbaren Menschen abschlachten kann, steht sowieso auf einem anderen Blatt. Diesen "schwarzen Humor" gibt es in den Nintendo-Spielen natürlich nicht und bei dem süßen Aussehen der Pals wird das auch nicht jedermanns Sache sein. Immerhin ist die Nutzung dieser Items völlig optional. Das Schlachtermesser habe ich beispielsweise nie benutzt. Ehrenwort!

So nah und doch so fern: Den riesigen Baum kann man (noch) nicht erkunden
So nah und doch so fern: Den riesigen Baum kann man (noch) nicht erkunden

Der Weg zum Release

Pocketpair nimmt sich so viel Inspiration von anderen erfolgreichen Titeln wie „Pokémon“ und „Ark“, kombiniert diese Elemente aber derart perfekt miteinander, dass sie einen absoluten Volltreffer damit landen. Und das ist eben auch keine Selbstverständlichkeit, denn den Erfolg von „Pokémon“ haben auch schon andere versucht zu kopieren und sind dabei mal mehr und mal weniger daran gescheitert. Beeindruckender wird diese umfangreiche Motivationsspirale nur noch durch den Umstand, dass es sich bei „Palworld“ aktuell "nur" um ein Early-Access-Spiel handelt. Bis zum Release, wann immer der auch sein mag, würde ich beim Gameplay tatsächlich gar nichts ändern. Das ist nämlich wirklich perfekt. Aber Pocketpair kann dieses fantastische Fundament noch viel besser machen. Aktuell fehlt dem Spiel noch eine Story oder zumindest ein Aufhänger dafür, warum wir in dieser Welt gelandet sind. Was hat es mit den überall in der Spielwelt verstreuten, riesigen Skeletten auf sich? Sind die Burgen, Ruinen und futuristischen Hochhäuser Teil einer längst vergessenen Zivilisation? Und wenn ja, was ist damals passiert? Hier birgt „Palworld“ einfach eine Menge Potenzial für die Zukunft. Zudem ist das obere Drittel der Karte gar nicht erreichbar, wie die Insel mit dem gigantischen Baum zum Beispiel, die von einer unsichtbaren Wand abgeschnitten wird. Neue Regionen, neue Pals und eine höhere Levelbegrenzung dürften in zukünftigen Updates oder DLCs also definitiv eine Rolle spielen.

Leider ein gewohnter Anblick: Die Palworld-Welt von unten
Leider ein gewohnter Anblick: Die Palworld-Welt von unten

Ein Glitch-Festival aus der Early-Access-Hölle

Und doch ist nicht alles Gold was glänzt bei „Palworld“. Der größte Elefant im Raum ist der teils desolate technische Zustand, in dem sich das Spiel befindet. Gerade die Xbox-Version, die ich gespielt habe, leidet unter zahlreichen Problemen. Häufig wird der Boden nicht richtig gerendert, wodurch ich unzählige Male durch den Boden geflogen bin, wenn ich nicht aufgepasst habe. Dazu kommen glitchende Pals, die im Lager stecken bleiben und einem den letzten Nerv rauben sowie eine seltsame niedrige Tonqualität auf der Microsoft-Konsole. ABER als Early-Access-Titel ist „Palworld“ von solchen technischen Ärgernissen gewissermaßen entschuldigt, denn genau dafür ist so eine Vorabversion ja auch da. Zumal Pocketpair sehr fleißig mit Patches ist und viele Bugs und Glitches bereits in diesen ersten drei Wochen ausgemerzt oder zumindest verbessert hat. Ein echter Kritikpunkt wäre der technische Zustand des Spiels daher für mich erst, wenn auch die finale Release-Version so aussehen würde. Ansonsten feuert die bunte Spielwelt zwar kein Grafikfeuerwerk ab, mit seiner stimmigen Comicgrafik, den soliden Texturen und einigen wunderschönen Panoramen von Wasserfällen bis hin zu Lava-Seen, sieht das Spiel aber deutlich besser aus, als die letzten, leider potthässlichen „Pokémon“-Spiele. Löblich sind zu guter Letzt auch die zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten die uns das Spiel an die Hand gibt. In den Einstellungen können wir nicht nur der Schwierigkeitsgrad ändern, sondern über verschiedene Slider auch Dinge wie die Fangrate oder den EP-Erhalt verändern. Den habe ich bei meinem Spielstand ebenfalls erhöht, da als Solo-Spieler das Balancing nicht ganz optimal ist und „Palworld“ irgendwann sehr Grindlastig wird. Dank der umfangreichen Einstellungsmöglichkeiten (Ich habe auch die nervigen Überfälle auf das Lager ausgestellt) ist das alles aber kein Problem.

Fazit

„Palworld“ ist weit mehr als ein „Pokémon mit Waffen“, sondern zeigt Nintendo, die sich jetzt schon viel zu lange auf ihrem Erfolg ausruhen, was für ein Potenzial eigentlich in diesem altbekannten Spielprinzip schlummert. Denn da, wo die „Pokémon“-Spiele aufhören, fängt „Palworld“ gerade erst an. Dem japanischen Indie-Entwickler Pocketpair gelingt der perfekte Gameplay-Loop aus Pals fangen, Level aufsteigen und Lager ausbauen und sorgt damit für eine unglaubliche Suchtspirale, wie ich es sonst nur von der „Anno“-Reihe kenne. Das umstrittene Open-World-Survival-Crafting-Spiel mag sich bei seinen Vorbildern um „Pokémon“ und „Ark“ vielleicht etwas zu viel abschauen, allerdings ist es auch keine Selbstverständlichkeit, die einzelnen Elemente erfolgreicher Spiele auf eine solche Art und Weise zu verbinden, dass etwas so Motivierendes und Spaßiges daraus entsteht wie „Palworld“. 70 Stunden lang habe ich mich in der wahrlich gigantischen Spielwelt verloren, die ohne veraltete Switch-Hardware und trotz Comicgrafik einen gelungenen Eindruck hinterlässt. Und bei keinem „Pokémon“-Spiel hatte ich jemals so viel Spaß, selbst wenn ich den Nostalgiebonus der ersten drei Generationen aus meiner Kindheit mit einberechne. Daher ist „Palworld“ das meiner Meinung nach beste „Pokémon“-Spiel aller Zeiten geworden! Einzig der desolate technische Zustand des Spiels ist ein Ärgernis, aber da es sich um einen Early-Access-Titel handelt und Pocketpair mit regelmäßigen Patches bereits viele Probleme beseitigt bzw. verbessert hat, gibt es hier keinen Grund zur Abwertung. Bis zum tatsächlichen Release muss sich das aber ändern. Und wenn bis dahin noch eine Story bzw. Lore dazukommt sowie neue Regionen, Level und Pals freigeschaltet werden, dann kann „Palworld“ aus diesem großartigen Fundament noch etwas viel Größeres erschaffen!

 

9/10


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