Tenet

Kinostart: 26.08.2020 | Laufzeit: 150 Minuten | FSK: 12 Land: GBR, USA | Genre: Action, Sci-Fi


Kritik

Bevor das Kinojahr begann, stand "Tenet", gemeinsam mit "Dune", ganz oben auf meiner Liste der Filmhighlights des Jahres. Doch dann kam Corona und damit die Unsicherheit ob und vor allem wann wir den neuen Film von Christopher Nolan zu Gesicht bekommen würden. Nachdem Warner Bros. den Kinostart zwischenzeitlich sogar ganz abgesagt hatte, ging es dann doch relativ fix. Ursprünglich für den 17. Juli geplant, erschien "Tenet" am 26. August in den deutschen Kinos. Und dass es sich bei "Tenet" um keinen normalen Release handelt, sondern um den kolportierten Retter des Kinos, steht ebenfalls außer Frage. Als erster Blockbuster nach dem Corona-Lockdown treibt der bei Fans geradezu verehrte Christopher Nolan die Kundschaft zurück in das Kino. Und als Kino-Liebhaber könnte es kaum einen besseren Film zum Restart geben. Was der Brite audiovisuell zelebriert ist ein absoluter Hochgenuss: Von den besten Action-Szenen seit vielen Jahren, bis hin zum irrsinnigen Soundtrack der die Atmos-Anlage an ihre Grenzen bringt. Nur zwei Gründe warum man sich das neue Meisterwerk von Christopher Nolan unbedingt im Kino anschauen sollte.

 

Seit dem legendären Banküberfall in "The Dark Knight", sind aufwändige Opening-Szenen ein Markenzeichen des britischen Regisseurs geworden. Auch bei "Tenet" dürfen sich Zuschauer auf einen spektakulären Einstand freuen, denn Nolan zögert keine Sekunde und wirft den Zuschauer direkt mit einer aufwändig inszenierten Opern-Sequenz mitten in die Story. In der Massenszene passieren dabei so viele Dinge, dass man bereits nach wenigen Sekunden mit einem dicken Fragezeichen im Gesicht da sitzt. Doch Geduld ist gefragt, so kalt der Sprung ins Wasser auch sein mag, so klar werden die Geschehnisse nach und nach. Nolan verstand es schon immer, sein Publikum zu fordern und ihm ein verschachteltes Puzzle zum lösen zu geben. Aber in meinen Augen verlor Nolan diese Fähigkeit in letzter Zeit etwas. "The Dark Knight Rises" hatte einige Schwächen in der Geschichte, "Interstellar" zeigte gerade gegen Ende viel zu viel und "Dunkirk" fällt als untypischster Nolan-Film sowieso aus der Mindfuck-Abteilung heraus. Die Zeiten aus "Inception", in denen Nolan nicht alle Fragen beantwortete, sondern sein Publikum mit einem unvergesslichen Ende aus dem Kino entließ schienen vorbei. Doch "Tenet" beweist, dass es Nolan immer noch drauf hat. Die Geschichte um Inversion und einen drohenden Weltkrieg ist so komplex, dass mitdenkende Zuschauer den Film zwar verstehen können, um wirklich alle Details greifen zu können, sind zwei oder drei Sichtungen aber sicherlich hilfreich. Dabei geht Nolan mehr in die Zeitreise-Richtung als zunächst von mir angenommen. Das Konzept hinter der Inversion bietet aber einen sehenswerten Twist gegenüber anderen Zeitreise-Filmen, soll an dieser Stelle aber natürlich nicht verraten werden. Dieses Konzept zu verstehen ist die eine Sache, gleichzeitig dann noch einem globalen Krieg mysteriöser Parteien zu folgen eine andere. Gerade da der Film zwischen 7 Schauplätzen, vielen Charakteren und in der Zeit umherspringt. Da kann schon einmal der Kopf rauchen, was Robert Pattinson auch treffend im Film feststellt. Und ja, auch "Tenet" besteht wieder aus einer Menge Exposition, trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Nolan seinem Publikum wieder etwas mehr zutraut als noch in "Interstellar". Denn die hochkomplexen Zusammenhängen brauchen schon fast ein Physik-Studium um sie nachvollziehen zu können und das Tempo des Films ist von Anfang bis Ende enorm hoch. Durch die Komplexität des Themas und das hohe Tempo, kam mir die Expedition nicht zu ausgiebig vor wie sonst. Das Konzept der Inversion bildet derweil das Kernstück von "Tenet" und wird nach einer Stunde endgültig von der Leine gelassen. Wie dann alle Rädchen ineinanderreifen und nach und nach die Zusammenhänge klar werden, ist großes Kino. In Sachen Mindfuck macht Christopher Nolan also weiterhin niemand etwas vor.

Doch die Inversion  ist nicht nur in Sachen Story ein beeindruckendes Konzept, sondern wird vom Regisseur auch visuell faszinierend eingefangen. Gerade die rückwärts ablaufenden Action-Szenen sind dabei ein echtes Highlight. Was Nolan in der zweiten Hälfte von "Tenet" abliefert, sind schlichtweg die besten Action-Szenen seit vielen Jahren. Ich sage nur Highway-Verfolgungsjagd und Flugzeug-Crash. Die Szenen sind nicht nur unglaublich spannend und dabei übersichtlich gefilmt, in Kombination mit dem herausragenden Einsatz der Inversion, werden sie zu Szenen wie ich sie nie zuvor gesehen habe. Gerade im irrsinnigen Finale, wo die Zeit vorwärts und rückwärts gleichzeitig abläuft, hat es mich kaum noch im Sitz gehalten. Und man muss Nolan zu Gute halten, wie sehr er auf praktische Effekte setzt. Eine echte Boing 747 crashen zu lassen, kann im heutigen Hollywood halt auch nur er. Die wahrlich spektakuläre Action wird dann auch noch von einem brutalen Sounddesign unterstrichen. In "Tenet" kommt jede Atmos-Anlage in ihre Grenzen, überall dröhnt und kracht es aus den Boxen. Ein großes Kompliment geht dabei auch an Ludwig Göransson. Dieser musste nach unzähligen Filmen das schwere Erbe von Hans Zimmer antreten, der sich stattdessen für "Dune" entschied. Doch der deutsche Komponist, so großartige seine Soundtracks in Nolan-Filmen auch waren, wird zu keiner Sekunde vermisst. Der Schwede bewies bereits bei "Creed" und dem Oscarprämierten "Black Panther"-Soundtrack, dass er zu den vielversprechendsten Komponisten in Hollywood gehört. Jetzt brilliert er mit einem phänomenal-futuristisch anmutenden Soundtrack, der "Tenet" endgültig zu einem audiovisuellen Overkill macht und mich in den Kinosessel genagelt hat. Story, Action und Soundtrack kommen dabei auf so wunderbare Weise zusammen, dass "Tenet" ein wahres Erlebnis geworden ist.

Kritik hagelt es jedoch, wie immer bei Christopher Nolan, an den Charakteren. Diese seien blass und man würde nicht mit ihnen mitfiebern. Während ich letzteres nicht bestätigen kann, muss man feststellen, dass die Charaktere zumindest kühl und distanziert bleiben. Da ich jedoch ein großer Fan von Charakteren mit dieser Eigenschaft bin, auch Denis Villeneuve und Nicolas Winding Refn verlassen sich gerne auf solche distanzierte Charaktere, hat mir das persönlich nichts ausgemacht. Allerdings fehlt den meisten wohl ein großer Hollywood-Star als Bezugsfigur, wie es Leonardo DiCaprio in "Inception" war. Stattdessen wagt es Nolan mit Denzel Washingtons Sohn John David Washington, Elizabeth Debicki und Robert Pattinson mit drei jungen und unverbrauchten Stars. Also ähnlich wie schon in "Dunkirk". Und alle drei machen ihre Sache richtig gut. Washington bringt bei seiner namenlosen Figur des "Protagonisten" die benötigte körperliche Präsenz und Abgeklärtheit mit, Elisabeth Debicki gibt den emotionalen Anker des Films und das Robert Pattinson längst aus seiner "Twilight"-Vergangenheit ausgebrochen ist, sollte inzwischen jeder wissen. Wenn nicht empfehle ich "Der Leuchtturm" als Schocktherapie. Auf der Seite des Antagonisten steht der bekannte Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh. Dessen letzter Film "Artemis Fowl" war ein Griff ins Klo, in der Rolle eines russischen Milliardärs weiß er jedoch zu überzeugen. Als Schauspieler gefällt mir Branagh weiterhin deutlich besser. Bei allem Lob muss ich jedoch auch sagen: Im Gedächtnis werden die Story, die Action und der Sound bleiben. Die Charaktere rücken im entfesselnden Wahnsinn schon in den Hintergrund. Gestört hat mich das jedoch nicht im Geringsten.

 

Fazit

Als "Dark" mit seiner fulminanten dritten Staffel zu Ende ging, meinte ich über das Thema Zeitreisen wäre nun endgültig alles gesagt. Keine zwei Monate später muss ich diese Aussage schon wieder revidieren. Christopher Nolan gelingt es mit "Tenet" einmal mehr, Anspruch und Blockbuster-Unterhaltung perfekt miteinander zu kombinieren. Heraus kommt ein hochkomplexer Science Fiction-Thriller, der in seiner ersten Stunde an die "James Bond"-Filme erinnert und danach völlig freidreht. Was Nolan dann abliefert sind Action-Szenen wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe, gepaart mit einem Wahnsinns-Soundtrack von Ludwig Göransson, der Hans Zimmer mehr als würdig ersetzt. Die audiovisuelle Wucht des Films bildet jedoch nur das Grundgerüst für die schlichtweg geniale Story. Dabei hatte ich weder Probleme damit mit den Charakteren mitzufiebern, noch habe ich mich an der Exposition gestört. Im Gegenteil: Bei "Interstellar" war diese noch mein größter Kritikpunkt, im Vergleich zu den komplexen Zusammenhängen und dem hohen Tempo des Films, kam Exposition sogar verhältnismäßig wenig vor. Die Kritikpunkte vieler Kritiker bleiben mir also, wie meist bei Nolan, schleierhaft. Trotzdem kann ich verstehen, dass "Tenet" nicht nur wie gewohnt die Kritiker spaltet, sondern dieses mal auch sein Publikum, denn "Tenet" ist weitaus weniger zugänglich als Nolans letzte Blockbuster und vielen wird ein großer Hollywood-Star als Bezugsfigur fehlen. Aber für mich ist "Tenet" nach "The Dark Knight" und "Inception", das dritte Meisterwerk in der ohnehin herausragenden Karriere von Christopher Nolan. Und eines wird wohl niemand abstreiten können: Für solche Filme wurde das Kino gemacht!

 

10/10


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Poster&Trailer: © Warner Bros.