Titane

Kino: 07.10.2021 | Laufzeit: 108 Minuten | FSK: 16 Land: FRA, BEL | Genre: Drama, Horror


Kritik

Die Filmfestspiele von Cannes zeichnen sich immer wieder mit hochkarätigen Filmen aus, so gewann im Jahr 2019 der spätere Oscar-Gewinner "Parasite" die Goldene Palme. Nachdem die Festspiele im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurden, sorgten sie dieses Jahr für eine faustdicke Überraschung, immerhin ist es nicht allzu gewöhnlich, dass ein Body-Horrorfilm die großen Filmpreise abstaubt. Verantwortlich dafür, zeichnet sich die französische Drehbuchautorin und Regisseurin Julia Ducournau, für die "Titane" erst ihr zweiter Spielfilm überhaupt ist. Mit ihrem Debütfilm "Raw", konnte sie damals bereits für einige drastische Reaktionen sorgen, als der Film durch einige ohnmächtige Zuschauer auf sich aufmerksam machte, die den Kannibalen-Film wohl nicht allzu gut vertrugen. Und wer nach "Raw" auf leichtere Kost gehofft hat, ist hier definitiv an der falschen Adresse. Immerhin inszeniert Ducournau mit "Titane" einen völlig verrückten Trip über Liebe, Geschlechterrollen, Traumatas und Verlust.

 

Die Geschichte von "Titane" in wenigen Sätzen in Worte zu fassen, ist an für sich schonmal eine Herausforderung. Da ich keine Story-Details verraten will, versuche ich es auch gar nicht erst, zumal die Grundstory schon so absurd klingt, dass man sie eigentlich schon mit eigenen Augen gesehen haben muss. Nach einem schweren Autounfall in ihrer Kindheit, werden der jungen Alexia (Agatha Russelle) Titanplatten in den Kopf gesetzt und das Mädchen verspürt fortan eine sinnliche Liebe für Fahrzeuge! Eine Zugneigung die sogar so weit geht, dass Alexia als Erwachsene Geschlechtsverkehr mit ihrem Auto hat. Und wem das noch nicht absurd genug ist: Sie wird sogar schwanger von ihrem Auto und blutet fortan Motoröl. Und dann wäre da ja noch die Sache mit ihrem Hobby als Serienkillerin...

Dieser völlig verrückte Mix sorgt zum einen dafür, dass man sich als Zuschauer voll und ganz auf den Film einlassen muss oder man flüchtetet wie viele andere Zuschauer einfach aus der Kinovorstellung. Julia Ducournau macht es ihrem Publikum jedoch alles andere als einfach, immerhin passieren all die aufgezählten Dinge in der ersten Hälfte des Films, die sich dazu noch besonders unangenehm anfühlt, da sie einige brutale Szenen beinhaltet. Wie bereits bei "Raw", sind diese jedoch nicht der Rede wert, zumindest wenn man bereits zwei oder drei blutige Filme in seinem Leben gesehen hat. Entsprechend ist "Titane", wie Ducournaus Erstling, wieder ab 16 Jahren freigegeben. Ohnmächtige Zuschauer oder flüchtende Kinobesucher kann ich also wie bereits bei "Raw" nicht im Geringsten nachvollziehen. Trotzdem ist der Einstieg von "Titane" gewagt und ich habe ebenfalls ein paar Minuten gebraucht, bis ich mich auf den völlig verrückten Trip einlassen konnte. Gerade Alexias Sexszene mit ihrem Auto ist so absurd, dass ich unfreiwillig lachen musste. Allerdings (und da liegt eine der großen Stärken von "Titane") gelingt es dem Film danach einen wunderbaren Sog zu entwickeln. Es werden viele Fragen aufgeworfen, die Story bleibt zu jeder Zeit unvorhersehbar und die Atmosphäre aus Neonlichtern tut ihr übriges, dass ich die 108 Minuten wie gebannt vor der Leinwand saß. Zumal "Titane" in Sachen Wahnsinn in der zweiten Hälfte ein paar Gänge zurückschaltet und dann plötzlich ein intimes Familiendrama erzählt. Ducournau verarbeitet dabei so viele Ideen im Film, dass es für die recht kurze Laufzeit fast schon zu viele Ideen auf einmal sind. So erzählt sie von verschiedenen Traumatas, von Verlust, Liebe, Geschlechterrollen und so vielem mehr. All das macht "Titane" zu einem Film, den man nach dem Abspann erst einmal verdauen muss. Zumal der Film am Ende auf einer überraschend emotionalen und fast schon geerdeten Note endet und jedem Zuschauer klar werden dürfte, was die junge Regisseurin mit dieser Geschichte eigentlich aussagen wollte. 

Inszenatorisch hat Ducournau gegenüber "Raw" derweil noch einmal Fortschritte gemacht. Die gelungene Mischung aus Neonlichtern, Motoröl und Blut habe ich in Sachen Atmosphäre bereits angerissen, darüber hinaus besticht "Titane" durch einige klasse Shots und einer exzellenten musikalischen Untermalung. So erinnerte mich der Film etwas an eine Mischung aus Nicolas Winding Refns "Only God Forgives" und den Filmen der New French Extrimity, allen voran dem hierzulande indizierten "Inside", wenn auch deutlich weniger brutal und gerade in der zweiten Hafte mit einer deutlich tiefgreifenderen Geschichte an Bord. Darüber hinaus ein großes Lob an Hauptdarstellerin Agathe Rousselle (die soweit ich es verstanden habe hier sogar ihr Debüt gibt) für eine wahrliche Tour de Force, da sie für diesen Body-Horror auch vollen Köpereinsatz zeigen muss. Und für Vincent Lindon, der in der zweiten Hälfte als gebeutelter Familienvater eine erstklassige Performance abliefert.

 

Fazit

"Titane" ist ein Film den man nach dem Abspann erst einmal verdauen muss und der einen auch darüber hinaus noch eine Weile beschäftigen wird. Julia Ducournau packt so viele Themen in die knapp 108 Minuten und inszeniert mit dem Cannes-Gewinner einen solch verrückten Trip, dass es definitiv kein Film für jeden ist. Auch ich hatte in der ersten Minuten mit der absurden Geschichte meine Schwierigkeiten, im Verlauf entwickelt "Titane" jedoch einen unwiderstehlichen Sog, dem ich mich dank der außergewöhnlichen Inszenierung und einer doch überraschend intimen und am Ende auch emotionalen Geschichte, nicht entziehen konnte. Obwohl ich wie bei "Raw" (ebenfalls 7/10), nicht zu 100% mit dem Film warm wurde, gibt es eine ganz klare Empfehlung für jeden Filmliebhaber von mir, der sich auf einen solch außergewöhnlichen Trip einlassen kann!

 

7/10


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Poster&Trailer: © Koch Films