Zwei Blockbuster, zwei Strategien: Warum die gesamte Filmwelt auf Tenet und Mulan blickt.
August 2020 - Ursprünglich sollte die neueste Disney-Realverfilmung am 26. März diesen Jahres in die Kinos kommen, während der neue Film von Christopher Nolan am 17. Juli anlaufen sollte. Doch dann kam Corona und wirbelte die Planungen von Disney und Warner gehörig durcheinander. Während alle Studios ihre großen Blockbuster auf Ende des Jahres oder sogar ins Jahr 2021 verschoben, hielten "Mulan" und "Tenet" tapfer die Stellung. Lange Zeit sah es so aus, als würden die beiden Filmen der angeschlagenen Kino-Branche gemeinsam neues Leben einhauchen und nach dem Lockdown für dringend benötigte Einspielergebnisse sorgen. Doch die hohen Infektionszahlen in den USA verhinderten einen Release und die beiden Filme wurden immer weiter verschoben. Letzten Endes zwang die Situation die Studios dazu, die bei Blockbustern übliche weltweite Veröffentlichung abzusagen. Warner entschied sich daraufhin "Tenet" erst nach und nach in die Kinos zu bringen, doch der große Schock kam seitens von Disney: Der Mäusekonzern verkündete seinen 200 Millionen Dollar Blockbuster "Mulan" gar nicht in die Kinos zu bringen und stattdessen auf eine digitale Veröffentlichung beim hauseigenen Streaming-Dienst Disney+ zu setzen. Die Nachricht schlug bekanntermaßen ein wie eine Bombe, denn der ziemlich sichere Milliarden-Hit würde den Kinobetreibern keinen einzigen Cent in die Kasse spülen. Und so treffen die beiden Giganten nun im direkten Duell aufeinender: "Tenet", der als Gradmesser für das Kino in der Corona-Krise gilt und bei einem Flop den K.O. für das ganze Kinojahr bedeuten könnte und "Mulan", der beweisen muss wie rentabel Streaming wirklich sein kann und ob das Kino noch eine Zukunft hat.
Premium VOD auf dem Vormarsch
Noch vor wenigen Wochen versicherte Disney-Chef Alan Horn, "Mulan" "gehöre auf die große Leinwand, wo es ein Publikum auf der ganzen Welt gemeinsam genießen kann". Nun erscheint der Blockbuster am 4. September auf Disney+, allerdings nicht im regulären Abo, sondern für den stolzen Preis von 21,99€ als sogenanntes Premium VOD. Der Film ist dann jederzeit mit einem Disney+-Abo abrufbar. Wer aktuell kein Abo besitzt, muss also noch einmal 6,99€ auf den Preis dazu rechnen. Das Konzept "Premium VOD" existiert derweil schon eine ganze Weile, hat in der Corona-Krise allerdings massiv an Bedeutung gewonnen. Den Anfang machten Filme die erst kurz vor dem Lockdown in die Kinos kamen. So veröffentlichte Universal seinen Horrorfilm "Der Unsichtbare" für 19,99€ auf allen gängigen Streaming-Portalen zum leihen, während der Animationsfilm "Trolls World Tour" mit Einnahmen von 77 Millionen Dollar in drei Wochen, zum erfolgreichsten digitalen Film aller Zeiten avancierte. Es ist wohl dieser Erfolg der Disney dazu gebracht hat "Mulan" direkt digital zu veröffentlichen. Immerhin richtet sich auch die Realverfilmung vorrangig an Familien, die einerseits im Moment einen großen Bogen um Kinos machen und andererseits bei einem Kinobesuch tief in die Tasche greifen müssten. Für Familien könnte sich das Angebot von 22€ bzw. 29€ also lohnen. Singles oder Pärchen dürfte der hohe Preis jedoch eher abschrecken, zumal beim heimischen Filmgenuss das Erlebnis Kino wegfällt und selbst mit großem Fernseher und Soundsystem die technischen Voraussetzungen nicht so gut sind wie im Kino. Insgesamt ist es eine fragwürdige Entscheidung von Disney, ausgerechnet bei "Mulan" auf Streaming zu setzen, immerhin erscheint der ewige Disney-Problemfilm "The New Mutants" nach unzähligen Verschiebungen in der gleichen Woche im Kino. Hinzu kommt das gigantische 200 Millionen Dollar Budget, das deutlich über den Budgets von "Der Unsichtbare" oder "Trolls World Tour" liegt. Variety rechnet "Mulan" aktuell ein Einspielergebnis von 149 Millionen Dollar aus, was für Disney ein Desaster wäre. Um das Budget wieder einzuspielen müssten 6 Millionen Menschen für "Mulan" ein digitales Ticket ziehen. Kann "Mulan" also überhaupt erfolgreich sein?
Disneys Testlauf für die Zukunft
Für Disney bietet "Mulan" aber gleichzeitig eine große Chance. Erstens fuhr der Konzern in der Corona-Krise hohe Verluste ein und der Release des Blockbusters dürfte zumindest etwas Geld in die Kassen spülen. Zweitens wurde der Film von Anfang an für ein asiatisches Kinopublikum konzipiert. Der Erfolg in der westlichen Welt war Disney längst nicht so wichtig wie im asiatischen Raum, wo "Mulan" auch weiterhin in die Kinos kommen soll. Drittens scheint der auf Familien ausgerichtete Konzern auf lockere Geldbeutel der Eltern und auf quengelnde Kinder die den Film unbedingt sehen wollen zu hoffen. Für Disney scheint "Mulan" also vorrangig ein Testlauf zu sein. Dazu passt auch auch die Aussage von Alan Horn, dass solche Veröffentlichungen "nicht regelmäßig geplant" seien. Es geht vor allem um die Frage wie viele Zuschauer bereit sind für einen aktuellen Blockbuster im Heimkino zu bezahlen und wie lukrativ eine solche Veröffentlichung gegenüber einer klassischen Kinoauswertung sein kann. Für Disney scheint also die perfekte Zeit gekommen zu sein, es einfach mal auszuprobieren, obwohl sich der Konzern einem hohen Piraterie-Risiko aussetzt. Für die Kinos ist es derweil ein herber Schlag. Die ohnehin schon angeschlagene Branche muss nun auf einen der größten Blockbuster des Jahres verzichten und sieht von der Realverfilmung keinen müden Cent. Die Einnahmen gehen stattdessen direkt an Disney, die mit ihrer Entscheidung für mächtig Ärger bei den Kinobetreibern gesorgt haben.
Ist "Tenet" der Retter der Kinos?
Ein völlig andere Strategie fährt Warner mit seinem 200 Millionen Dollar Blockbuster "Tenet". Wohl auch auf Drängen von Christopher Nolan, der als Verfechter des Kinos auf eine solche Veröffentlichung bestanden hat. So erscheint "Tenet" am 26. August in Deutschland und 70 weiteren Ländern auf der großen Leinwand, eine Woche später ist dann auch die USA dran, während in anderen Ländern noch kein Startdatum existiert. Für Warner ist diese Strategie in mehrerlei Hinsicht riskant. Zum einen werden viele noch keinen Kinobesuch in Erwägung ziehen, da die Infektionszahlen auch hierzulande wieder in die Höhe schießen, zum anderen dürfen deutsche Kinos beispielsweise nur 25% ihrer Kinosäle auslasten. Die Abstandsregeln sorgen für kaum befüllte Kinosäle, wie ein Blick auf mein heimisches Kino beweist. Reserviert dort ein Pärchen zwei Plätze in der Mitte das Saals, werden 12 (!) Plätze ringsherum gesperrt. "Tenet" wird also keine Startrekorde brechen, sondern wird sich über einen langen Zeitraum hinweg beweisen müssen. Wichtig ist dafür zum einen die Mundpropaganda, falls der Film qualitativ sein Publikum überzeugen kann. Je länger der Film jedoch in den Kinos läuft, desto höher wird die Gefahr von Spoilern, was bei einem Mindfuck-Film von Christopher Nolan mehr als ungünstig ist. Und natürlich bietet eine solche Veröffentlichungsstrategie ebenfalls einen Nährboden für Piraterie, gerade falls der Film vor US-Start schon auf entsprechenden Seiten landen sollte. So riskant der Release des Films ist, so wichtig ist der Film für die gesamte Kinobranche. Denn die Kinos brauchen aktuelle Blockbuster um überleben zu können, da Wiederaufführungen von Klassikern und kleinere Filme auf Dauer schlichtweg nicht rentabel sind. Dabei ist "Tenet" natürlich der Gradmesser für alle weiteren Filme des Jahres. Denn welches Studio würde seine Blockbuster wie der neue "James Bond", "Wonder Woman" oder "Dune" noch in diesem Jahr starten lassen wenn "Tenet" wirklich floppen würde. Ein Flop wäre für die Kinos eine Katastrophe und wohl das endgültige Ende des Kinojahres.
Wie Kino und Streaming sich verändern könnten
Eines steht jedoch jetzt schon fest: Die Auswirkungen dieses Duells werden weit über die Corona-Krise hinaus gehen. Der Ausgang entscheidet aber nicht darüber, ob das Kino zu Grunde geht, sondern nur wie nah Kino und Streaming künftig zusammenrücken. Denn letzten Endes wird ein Blockbuster wie "Mulan" im Streaming nie so viel Geld umsetzen wie mit einer Kinoauswertung. Von Schwarzmalereien die das Ende des Kinos prophezeien halte ich entsprechend nichts. Besondere Zeiten verlangen eben nach besonderen Maßnahmen, das Kino wird jedoch auch über die Corona-Zeit hinaus existieren. Allerdings könnte es sich deutlich verändert zeigen, wenn der Zeitraum zwischen Kinoveröffentlichung und VOD deutlich reduziert wird. Universal hat hierfür bereits einen Deal mit der amerikanischen Kinokette AMC getätigt und kann seine Filme nun statt nach 90 Tagen bereits nach 17 Tagen im Streaming anbieten. Die letzte Bastion der Kinobetreiber ist also bereits gefallen und weitere Studios werden ziemlich sicher folgen. Denkbar ist ein Szenario demnach in naher Zukunft nur noch große Blockbuster in den Kinos zu sehen sind, während die kleinen Filme direkt oder bereits nach wenigen Tagen ins VOD-Angebot wandern. Die Veränderungen betreffen jedoch nicht nur die Kinos. Auch im VOD-Sektor sind preisliche Anpassungen zu erwarten. Mit mehr Premium VOD-Angeboten könnten auch die klassischen Flatrates aufgebrochen werden. Bislang haben Anbieter wie Netflix ihre teuren Filme wie "The Irishman" oder "6 Underground" im regulären Abo veröffentlicht, es ist nicht auszuschließen dass bei einem Erfolg von Premium VOD-Titeln wie "Mulan", Filme wie der kommende 200 Millionen Dollar Blockbuster der "Avengers"-Macher, bei Netflix ebenfalls nur für zusätzliche Kosten erhältlich sein wird. Immerhin bedeuten höhere Qualitätsstandards auch gleichzeitig höhere Preise. Und so könnten "Tenet" und "Mulan" die Filmwelt für immer verändern.