The Irishman

Streaming-Start: 27.11.2019 | Laufzeit: 209 Minuten | FSK: 16 Land: USA | Genre: Biografie, Krimi, Drama | Originaltitel: The Irishman


Kritik

Martin Scorsese, Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci. Vier Hollywood-Legenden und fünf Oscars vereint, für ein letztes, großes Mafia-Epos. Zusammen haben sie uns Filme wie "Der Pate", "Goodfellas", "Casino" und "Scarface" beschert, jetzt folgt ein letzter Schwanengesang auf eine inzwischen in die Jahre gekommene, goldene Hollywood-Generation. "The Irishman" heißt das neue Projekt von Regisseur Martin Scorsese und es sagt es schon viel über die Zustände im heutigen Hollywood aus, wenn einem Film mit solchen Namen die Finanzierung verwährt bleibt. Keines der großen Hollywood-Studios wollte die enormen Kosten von 150 Millionen Dollar für das Projekt stemmen und so sicherte sich Netflix das bisher größte und teuerste Filmhighlight in der Geschichte des Streaming-Anbieters. Und obwohl "The Irishman" dadurch nur vereinzelt auf der großen Leinwand zu bestaunen ist, kann man Netflix für ihre Risikobereitschaft nur gratulieren. Denn der durchaus riskante Plan die inzwischen 76-79 jährigen Darsteller mittels CGI zu verjüngen geht voll auf und das Mafia-Epos ist trotz seiner extremen Länge von 209 Minuten (!) jede einzelne Sekunde wert. Die Vorschusslorbeeren der Kritiker und der Favoritenstatus im Hinblick auf die Oscars sind jedenfalls vollkommen gerechtfertigt. "The Irishman" wirkt deutlicher ruhiger und gereifter als die rasanten Scorsese-Klassiker wie "Goodfellas" und demontiert zeitgleich den Mythos des Genres so gekonnt wie kein anderer Film vor ihm. 

 

Wie bei vielen seiner vorigen Werke, hat sich Martin Scorsese wieder einmal von wahren Begebenheiten inspirieren lassen. "The Irishman" erzählt im Kern die Geschichte des Auftragskillers Frank Sheeran (Robert De Niro), seinem wichtigsten Mentor, dem Mafiaboss Russell Bufalino (Joe Pesci) und dem Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa (Al Pacino). Wie realitätsnah der Film dabei ist, weiß niemand so genau. "The Irishman" orientiert sich nämlich am Buch "I Heard You Paint Houses" von Autor Charles Brandt, der mit Frank Sheeran vor seinem Tod noch sprechen konnte. Dieser erzählte dem Autor seine Lebensgeschichte und gab an, in seiner Laufbahn 25-30 Menschen getötet zu haben. Allerdings gibt es dafür bis heute keine Beweise. Auch zum tragischen Höhepunkt des Films gibt es widersprüchliche Aussagen, letzten Endes spielt es jedoch keine Rolle in wieweit "The Irishman" nun Fiktion oder Realität ist. Viel wichtiger ist, was Scorsese aus dieser Geschichte macht: Ein waschechtes Mafia-Epos. Die Handlung besteht aus unzähligen Charakteren und vielen kleinen Sub-Plots, die in der Summe ein dichtes Geflecht ergeben, trotzdem bleibt "The Irishman" stets nahe an seinem Hauptcharakter Frank Sheeran dran. Dabei wirken viele Zutaten des Epos altvertraut und dennoch weiß Scorsese dem Genre immer wieder neue Facetten abzugewinnen. Erzählt wird dieses mal nämlich nicht die klassische Geschichte vom Aufstieg und Fall des Hauptcharakters, die durchaus zum Mythos der Mafia beigetragen hatte. Stattdessen demontiert Scorsese diesen Mythos am Ende sogar, wenn am Ende des Weges alle Weggefährten Sheerans verstorben sind und er allein im Altersheim auf den Tod warten. Auf Vergebung oder gar einen heldenhaften Abgesang wartet man hier vergeblich.

Was "The Irishman" zusätzlich von Scorseses früheren Mafia-Filmen wie "Goodfellas" und "Casino" unterscheidet, ist das getragene Erzähltempo. Während gerade "Goodfellas" durch seinen rasanten Stil zu unterhalten wusste, wirkt "The Irishman" nun deutlich gereifter und altersweißer. Und Scorsese lässt sich Zeit, viel Zeit, um seine Geschichte zur Entfaltung zu bringen. Geschlagene dreieinhalb Stunden dauert der Film, was einige unwissende Zuschauer sicherlich vor Schreck vom Sofa fallen lassen wird. "The Irishman" wird sich durch den Netflix-Release nunmal auch ein Publikum von Netflix-Abonnenten erschließen, an denen eine reguläre Kinoauswertung des Films normaIerweise vorbei gegangen wäre. Gerade diese Zuschauerschaft wird sich mit der enormen Länge und dem ruhigen Erzähltempo schwer tun. Für alle Filmliebhaber ist "The Irishman" jedoch ein einziger Traum. Das Werk wirkt durch seine Zurückhaltung, seine Länge und den nicht vorhandenen Action-Szenen wie aus der Zeit gefallen. Es ist als wäre nach "Goodfellas" die Zeit stehen geblieben, denn solche Filme werden heutzutage einfach nicht mehr gemacht. Langweilig ist der Film jedoch zu keiner Zeit, denn anders als beispielsweise Quentin Tarantinos "Once Upon a Time in Hollywood", hat "The Irishman" auch tatsächlich etwas zu erzählen und verlässt sich nicht ausschließlich auf die großartigen Darsteller und seinen Nostalgie-Faktor. Die schwache Handlung war es, die Tarantinos enttäuschendes neues Werk so zäh gemacht hat. Hier ist es eine fatale Entscheidung die Gedanken abschweifen zu lassen oder sich nebenher am Handy zu vergnügen, dafür fordern zu viele Nebencharaktere mit ihren Beziehungen untereinander die Aufmerksamkeit des Zuschauers.

Doch Ablenkung ist auch gar nicht nötig, denn Martin Scorseses routinierte Inszenierung ist wie immer eine Wucht. Bereits nach wenigen Minuten hält die Regie-Legende sein Publikum in einem perfekt funktionierenden Schweizer Uhrwerk gefangen und lässt ihn bis zum Schluss auch nicht mehr heraus. Der Rhythmus und der Flow den "The Irishman" entwickelt ist beeindruckend und lässt die 209 Minuten wesentlich kürzer wirken. Ich habe das Geschehen auf dem Bildschirm jedenfalls wie gebannt verfolgt und hätte dem Trio noch problemlos zwei Stunden länger beim Reden zuschauen können. Denn eines ist auch klar: Wer Action sucht, wird keine finden. Von einigen Gewaltspitzen einmal abgesehen, die aber eher beiläufig behandelt werden, existiert nicht eine einzige Action-Szene im ganzen Film. Dass der Film trotzdem durchweg zu unterhalten weiß ist eine beeindruckende Errungenschaft, denn diese Laufzeit will erst einmal mit Leben gefüllt werden. Wenn man dem Film etwas ankreiden möchte, dann vielleicht die letzten Minuten. Scorsese tut sich etwas schwer die Geschichte zu einem Abschluss zu bringen, aber gerade als ich mich dabei ertappt hatte auf die Uhr zu schauen, lief auch schon der Abspann.

Doch kommen wir nun zu den drei Hollywood-Legenden, die viel von der Brillanz des Films ausmachen. Robert De Niro glänzt als zurückhaltender Auftragskiller der sich in berühmter De Niro-Manier durch das Leben schlägt und darf sich dabei durchaus Hoffnungen auf eine Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller machen. Für Al Pacino ist es derweil die erste Zusammenarbeit mit Martin Scorsese, was man eigentlich kaum glauben kann. Pacinos Charaktere hatten schon immer einen getriebenen und aufbrausenden Charakter und so passt Jimmy Hoffa auch wunderbar zur Rollenauswahl der Schauspielers. Einige wenige Zuschauer werfen ihm zwar Overacting vor, das konnte ich aber beim besten Willen nicht erkennen. Zu guter Letzt haben wir die Rückkehr von Joe Pesci. Dieser musste erst einmal lange davon überzeugt werden in "The Irishman" mitzuspielen, immerhin ist der Oscar-Preisträger seit mehr als 20 Jahren im Ruhestand. Sein Comeback fällt jedenfalls ungewöhnlich aus, da er dieses Mal keinen aufbrausenden kleinen Italiener zum besten gibt (Unvergessen natürlich sein legendärer und improvisierter Dialog in "Goodfellas": "What do you mean I'm funny?") sondern einen besonnenen Mafiaboss. Entsprechend kann er von den drei Legenden am wenigsten glänzen, überzeugend ist die Darbietung Pescis jedoch allemal. Daneben gibt es noch zahlreiche bekannte Gesichter wie Harvey Keitel, Anna Paquin oder "Breaking Bad"-Bösewicht Jesse Plemons in den teils kleinsten Nebenrollen zu sehen.

Was wir jedoch nicht sehen, sind Schauspieler die De Niro und Co. in den jungen Jahren verkörpern. Dabei erzählt "The Irishman" die Geschichte von Frank Sheeran von seinen Mitdreißigern bis zu seinem Tod mit 83 Jahren. Hier kommt das sogenannte De-Aging zum Einsatz, mit dem man mit Hilfe von CGI die Gesichter des Schauspiel-Trios verjüngt. Von der Technik kann man halten was man will, denn ironischerweiße gewann Robert De Niro seinen ersten Oscar für seine Rolle als junger Vito Corleone in "Der Pate 2". Heutzutage wäre Marlon Brando wohl einfach verjüngt worden und De Niro hätte einen seiner beiden Oscars nie gewonnen. Was wirklich zählt ist jedoch das Ergebnis und so viel vorweg: Die 150 Millionen Dollar (Der Großteil floss in die aufwändige Technologie die gerade in den Marvel-Blockbustern immer wieder zum Einsatz kommt) waren gut angelegt. Gerade Joe Pesci und Al Pacino, der übrigens ausschließlich verjüngt zu sehen ist, sehen unglaublich gut aus. Dass die Technik jedoch noch immer nicht ganz perfekt ist, beweist ein Blick auf Robert De Niro. Je jünger De Niro in seinen Szenen ist, desto mehr fällt der Effekt negativ auf. Glücklicherweise ist De Niro jedoch nur in wenigen Szenen richtig jung und nach etwa zwei Minuten fällt der Effekt in der Folge auch nicht mehr störend auf. Eine Anmerkung muss ich zu diesem Thema aber noch machen: Ein Body-Double wäre in der einen oder anderen Szene hilfreich gewesen, denn obwohl das Trio jung aussieht, bewegt es sich halt immernoch wie drei 76-79 Jahre alte Männer. Störend ist das aber nur in einer Szene, in der ein junger Frank Sheeran einen Verkäufer auf der Straße verprügelt, dabei aber so gebrechlich wie ein alter Mann wirkt. Diese unfreiwillig komische Szene hätte man besser lösen können.

 

Fazit

"The Irishman" wirkt mitunter wie aus der Zeit gefallen. Die enorme Laufzeit, das ruhige Erzähltempo und der Verzicht auf jegliche Actionszenen sieht man heutzutage nur noch selten und wird es vielen Netflix-Nutzern schwer machen, an denen der Film bei einer normalen Kinoauswertung vorbei gegangen wäre. Für alle Filmfans ist "The Irishman" jedoch ein einziger Hochgenuss. Scorseses wie immer brillante Inszenierung lässt keine Langweile aufkommen, die Handlung demontiert den Mafia-Mythos wie kein Film zuvor und das Legenden-Trio um De Niro, Pacino und Pesci liefert erwartungsgemäß ab. Für mich ist Scorseses neues Werk keinen Deut schlechter als seine früheren Meisterwerke wie "Goodfellas" und "Casino". Im Gegenteil: "The Irishman" ist ein letztes großes Mafia-Epos, geschaffen für die Ewigkeit.

 

9/10


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Poster&Trailer: © Netflix